Freiheit statt Kapitalismus
wäre, Unternehmen dafür zu kritisieren, dass sie Investitionen mit Krediten finanzieren, so falsch ist die generelle Verächtlichmachung öffentlicher Kreditaufnahme als Ausdruck »schlechten Wirtschaftens«.
Eigentliches Ziel solcher Spardebatten ist in der Regel auch gar nicht, die Schulden zu reduzieren, sondern die öffentlichen Ausgaben. Auf diesem Wege wurde beispielsweise in Deutschland zwischen 1998und 2008 die Staatsquote um 5 Prozentpunkte abgesenkt. Die Staatsschulden sind im Zuge dessen kontinuierlich weitergewachsen, aber der öffentlichen Hand standen plötzlich gut 100 Milliarden Euro weniger für Bildung, Investitionen und Krankenhäuser zur Verfügung. Die Profiteure einer solchen Politik liegen auf der Hand. Sozialabbau heißt immer auch: Absenkung des Lohnniveaus, und Kaputtsparen des öffentlichen Bereichs heißt untrennbar: Privatisierungen, also Überlassung immer größerer Teile des öffentlichen Lebens an das private Kapital.
Fehlkonstruktion »Schuldenbremse«
Eines solchen Geistes Kind ist auch die 2009 von der Großen Koalition eingeführte und sogar im Grundgesetz verankerte »Schuldenbremse«. Die »Schuldenbremse« begrenzt die Möglichkeit der öffentlichen Hand in Bund und Ländern, zusätzliche Kredite aufzunehmen. Nun kann sich niemand eine endlos ausufernde Staatsverschuldung wünschen. Würde die »Schuldenbremse« als Auftrag an die Bundesregierung verstanden, durch eine hinreichende steuerliche Belastung hoher Einkommen und Vermögen die staatliche Einnahmebasis zu konsolidieren und auf diesem Wege die Neuverschuldung abzubauen, wäre nichts dagegen einzuwenden. Die Wiedereinführung einer kraftvollen Vermögenssteuer etwa wäre eine außerordentlich wirksame »Schuldenbremse«. Nur, von solchen Maßnahmen kann keine Rede sein. Stattdessen wurden nach Einführung der »Schuldenbremse« die öffentlichen Einnahmen durch ein ganzes Bündel zusätzlicher Steuergeschenke, die wieder in erster Linie den Reicheren und Reichsten zugutegekommen sind, weiter reduziert. Als da wären: eine erneute Reduzierung der Einkommenssteuer, die faktische Abschaffung der Erbschaftssteuer, eine weitere Entlastung großer Unternehmen bei der Körperschaftssteuer und die grandiose Mehrwertsteuersenkung für das Hotelgewerbe.
Auf einer solchen Basis bedeutet die »Schuldenbremse« schlicht: rabiate Streichkonzerte und Totsparen der Fähigkeit zu demokratischer Politikgestaltung. Auf Ebene der Bundesländer, deren Regierungen keine Steuerhoheit besitzen und daher kaum für zusätzliche Einnahmen sorgen können, sind die Konsequenzen besonders dramatisch.Eine Landesregierung, die auch nur einen Rest an politischer Gestaltungsmacht behalten will, wird die Vorgaben der »Schuldenbremse« daher mit allen Mitteln unterlaufen müssen. Anders ist verantwortbare Politik nicht mehr durchführbar.
Ein generelles Verteufeln öffentlicher Schulden und ein Kniefall vor dem Altar der Haushaltskonsolidierung sind daher so unsinnig wie würdelos. Genauso wenig allerdings darf jede unbekümmerte Schuldenmacherei gleich für fortschrittliche Politik gehalten werden. Eine kreditfinanzierte Senkung der Steuern für Besserverdienende beispielsweise hat keinen positiven volkswirtschaftlichen Effekt. Sie führt lediglich zu verstärkter Vermögensbildung und erhöht den Druck in Richtung künftiger Ausgabenkürzungen. Die jahrelange steuerliche Mästung der Reichen und der Konzerne in Deutschland hat weder die konsumtive noch die investive Nachfrage auf dem Binnenmarkt erhöht, die öffentlichen Einnahmen allerdings massiv schrumpfen lassen. Mit Verweis darauf wurde im Herbst 2010 ein rüdes 80-Milliarden-Sparpaket beschlossen, das den Konsum noch weiter strangulieren wird.
Verteilungsfrage statt Kredit
Überhaupt ist die Gleichsetzung von »expansiv« und »kreditfinanziert« nicht zulässig. Die öffentliche Hand kann ohne zusätzliche Kreditaufnahme eine expansive (d. h. auf Nachfragesteigerung gerichtete) Politik betreiben: durch Umverteilung von oben nach unten. Wer 1000 Euro im Monat verdient, wird jeden zusätzlichen Euro, den er bekommt, dafür nutzen, sich ein etwas weniger beengtes Leben zu gönnen. Wer 1 Million Euro im Jahr nach Hause trägt, merkt dagegen kaum, ob er noch mal 10 000 Euro obendrauf bekommt; er wird das Geld zum großen Teil sparen, weil er sich auch so schon das meiste leisten kann, was er mag. Es ist eine für nahezu alle Volkswirtschaften und Zeiten bestätigte Tatsache: Je stärker
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