Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer
demnach ein falscher Glaube, der auf der Grundlage einer unrichtigen Schlussfolgerung über die externe Realität zustande kommt. Dieser Glaube wird unbeirrbar aufrecht erhalten, obwohl nahezu alle anderen Menschen etwas anderes glauben und es unbestreitbare und offensichtliche Anhaltspunkte oder Beweise für das Gegenteil gibt.
Wichtig daran ist zunächst, dass ein Wahn ein
falscher
Glaube ist, an dem der Patient
unbeirrbar
festhält. Diese beiden Kriterien unterschreibt jeder Psychiater. Dann aber wird es schwierig:
Die DSM - IV -Definition sieht vor, dass dem Inhalt des Wahns unbestreitbare und offensichtliche Anhaltspunkte oder Beweise entgegenstehen sollen. Ein Psychiater ist aber kein Polizist oder Detektiv. Wie soll er überprüfen, ob der Patient verfolgt wird, seine Ehefrau ihn betrügt oder sein Arbeitgeber ihn unbedingt vor die Tür setzen will? Viele Wahninhalte sind unmöglich. Beispielsweise darf man sicher einen Wahn annehmen, wenn eine Patientin sich von Außerirdischen verfolgt fühlt, aber was ist, wenn sie glaubt, ihr geschiedener Mann lasse sie überwachen und sabotiere heimlich ihre Karriere? Darf ein Psychiater diese Vorstellung zum Wahn erklären, ohne sie überprüft zu haben?
Und wie passt eine religiöse Überzeugung in dieses Bild? Die Inhalte vieler religiöser Überzeugungen erscheinen anderen Menschen bizarr, dennoch lassen sich die Gläubigen nicht davon abbringen. Trotzdem wird man nicht von einem Wahn sprechen.
Andererseits gibt es auch einen Wahn mit religiösem Inhalt. Wenn beispielsweise jemand unbeirrbar glaubt, der Teufel habe seinen Nachbarn geholt und sei selbst in dessen Gestalt geschlüpft, handelt es sich nicht mehr um den Ausdruck des Glaubens, sondern um einen Wahn.
Die DSM -Definition besteht darauf, dass ein Wahn unbeirrbar aufrecht erhalten wird,
obwohl nahezu alle anderen Menschen etwas anderes glauben
. Dieser Nebensatz ist wichtig, denn Menschen sind im Allgemeinen
beirrbar
, das heißt, sie lassen sich vom Glauben und Denken ihrer Umgebung beeinflussen. Die geforderte Einsamkeit der Wahnidee ist also ein Anzeichen der Abschottung gegen äußeren Einfluss und zugleich ein Hinweis, dass der Wahnkranke die Idee nicht aus seiner Umgebung übernommen hat. Gerade in der Zeit des Internet hat diese Forderung aber ihre Tücken: Für viele Wahnideen finden sich im Internet Gleichgesinnte, die ihre Wahnsysteme gemeinsam ausbauen. Damit verschwimmt wieder die Grenze zwischen Normalität und Wahn. Wer kann schon vorhersagen, ob jedes Mitglied einer solchen Gemeinschaft auch allein »unbeirrbar« an seinem falschen Glauben festhalten würde?
Wie man sieht, hat die DSM - IV -Definition also durchaus ihre Schwächen. Eine grundlegende Frage lässt sie sogar ganz aus: Wo verläuft die Grenze zwischen gesunden und kranken (oder krank machenden) Ideen? Darf man die Hartnäckigkeit, die Unbeirrbarkeit, die Unüberzeugbarkeit zum Maßstab machen? Oder soll der Gesamteindruck entscheiden? Dann müssten wir die Intuition des behandelnden Psychiaters als Entscheidungskriterium akzeptieren. Leider entzieht sich die Intuition jeder Nachprüfung, und verschiedene Psychiater können durchaus zu verschiedenen Diagnosen kommen.
Der Psychologe A. S. David steht deshalb auf dem Standpunkt, dass eine vollständige Definition des Wahns unmöglich ist. Diese Meinung ist nicht so erschütternd, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Bei genauem Hinsehen sind viele Begriffe des täglichen Lebens auf ähnliche Weise unscharf. Zum Beispiel ist ein Wald eine
Anhäufung von Bäumen. Aber wie viele Bäume müssen es mindestens sein und wie müssen sie angeordnet sein, damit man von einem Wald spricht? Reichen zehn Bäume für einen Wald, oder müssen es hundert sein? Wäre eine Situation denkbar, in der ein einziger Baum, den wir hinzufügen, eine Baumgruppe zum Wald macht? Beim Begriff Wahn kommt erschwerend hinzu, dass er sich lediglich auf ein Gedankenkonstrukt in einem anderen Gehirn bezieht. Einen Wahn kann man nicht sehen, er ist eine Schlussfolgerung aus dem Bericht des Wahnkranken, der oft heftig bestreitet, krank zu sein. Wir müssen deshalb eine breite Grauzone zwischen geistiger Gesundheit und Wahn akzeptieren, eine feste und eindeutige Grenzziehung ist unmöglich.
Wahn als Symptom einer anderen Erkrankung
Der Wahn ist eine so genannte
inhaltliche
Denkstörung. Nicht der Vorgang des Denkens an sich ist gestört (hier spricht man von einer
formalen
Denkstörung), sondern das Ergebnis
Weitere Kostenlose Bücher