Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer
verlogen. Christen haben gegen sie keine Chance, also muss man sie wieder in Ghettos sperren.
Die Kirche wollte im Sinne des doppelten Schutzprinzips die Kontrolle über die Juden zurückhaben, sie wollte sie nicht vertreiben oder umbringen. Den Päpsten des neunzehnten Jahrhunderts
hätte es vermutlich gereicht, die Juden in mittelalterlicher Rechtlosigkeit in den Ghettos zu wissen, ganz so wie es der Kirchenstaat seit 1826 wieder gehandhabt hatte. Die Freimaurer hingegen waren Christen, aus der Sicht der Kirche also verirrte Schafe, die man in die Herde zurücktreiben konnte. Während die Kirche dem einzelnen Juden Verschlagenheit, Bosheit und einen unheilbaren Christenhass unterstellte, fehlen derartige Zuweisungen an die Freimaurer. Den Liberalismus, den Sozialismus und die Freimaurerei bekämpfte die Kirche als Idee, die Juden hingegen als Volk. Protestantische und säkulare Antisemiten sahen das nicht anders, doch die katholische Kirche verfügte gerade unter der katholischen Landbevölkerung über eine unerreichte Glaubwürdigkeit. Die Juden als geheime Herrscher über die Freimaurer, die Presse, die demokratischen Regierungen und die Industrie – an der Entstehung dieser bis heute virulenten Verschwörungstheorie hat die katholische Kirche ohne Zweifel einen maßgeblichen Anteil gehabt.
Aber auch die katholische Kirche und besonders der Jesuitenorden als ihr wortgewaltigster Verteidiger waren ständig Ziel von Verschwörungstheorien.
Die Jesuiten
Bis zum neunzehnten Jahrhundert galt die katholische Kirche als spirituelle
und
weltliche Macht. Viele Atheisten oder Protestanten unterstellten ihr, heimlich die Macht in der Welt übernehmen zu wollen. Der Amerikaner Samuel Finley Breeze Morse etwa erfand nicht nur den ersten brauchbaren Telegraphen und das Morsealphabet, sondern er war auch ein überzeugter Protestant und Gegner der katholischen Kirche. In seinem 1835 erschienenen Buch
Foreign Conspiracies against the Liberties of the United States
[Ausländische Verschwörungen gegen die Freiheiten der Vereinigten Staaten] schrieb er:
»Österreich ist in diesem Land jetzt aktiv geworden. Es hat ein ganz großes Projekt entworfen. Es hat einen Plan organisiert,
um hier etwas zu unternehmen … In seinem Auftrag reisen jesuitische Missionare durchs Land; es hat sie mit Geld ausgestattet und eine Quelle regelmäßigen Nachschubs für sie eingerichtet.«
Sollte die Verschwörung Erfolg haben, so schrieb Morse, würde bald ein Spross des Hauses Habsburg als Kaiser der USA eingesetzt werden. Die meisten Österreicher wissen vermutlich bis heute nicht, dass Samuel Morse sie seinerzeit als ernste Bedrohung der Freiheit der USA angesehen hat.
Der spanische Ritter Ignatius von Loyola gründete die Societas Jesu, den Jesuitenorden, im Jahre 1540 , als er bereits 49 Jahre alt war. Es war ein Orden ganz neuen Typs: Die Mitglieder trugen keine spezielle Ordenstracht und mussten an keinem gemeinsamen Chorgebet teilnehmen. Ignatius wollte keine ortsgebundenen frommen Klostergemeinschaften unterhalten, vielmehr wollte er die Mitglieder seines Ordens ihren Fähigkeiten gemäß überall auf der Welt einsetzen. In der Satzung des Ordens heißt es: »Unsere Berufung ist, in jedweder Gegend der Welt unterwegs zu sein und das Leben zu führen, wo mehr Dienst für Gott und Hilfe für die Seelen erhofft wird.«
Ignatius von Loyola hatte den Orden ausdrücklich direkt dem Papst unterstellt. Die Jesuiten unterstützten deshalb eine starke Stellung des Papstes gegen die nationalen Kirchen. Das brachte ihnen in Paris die Gegnerschaft des Bischofs von Paris und des Pariser Parlaments ein, denn die französische katholische Kirche betrachtete sich als weitgehend unabhängig von Rom (
Gallikanismus
).
Bereits 1590 , 50 Jahre nach seiner Gründung, hatte der Orden etwa 6000 Mitglieder, noch einmal 50 Jahre später waren es 15 000 . Die Jesuiten gründeten eine Vielzahl von Kollegien (heute würde man Gymnasien sagen), in denen sie kostenlos Unterricht erteilten. Die berühmte Universität Sorbonne in Paris fürchtete die Konkurrenz der Jesuiten und schloss sich deshalb schon früh ihren Gegnern an. Die Jesuiten stellten bald an vielen katholischen Höfen die Beichtväter der Fürsten und gelangten so zu großem politischem
Einfluss. Sie missionierten in China und bauten in Südamerika Indianergemeinschaften auf.
Ignatius von Loyola hatte eine zu seiner Zeit einzigartige Organisation geschaffen: straff geführt, hervorragend
Weitere Kostenlose Bücher