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Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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an meiner Schulter vorbei und schien etwas zu suchen. Als er es nicht fand, setzte er sich. Sein Handy klingelte.
    Er sagte: »Was ist los?«, hörte zu, dann: »Willst du mir nicht sagen, was passiert ist?« Er drehte mir den Rücken zu. Ich hörte noch: »Wann fährst du los?« Das war’s. Ich kam mir idiotisch vor, und verloren. Was hatte ich mir denn eingebildet?
    »Wolltest du nicht weiter?«, wiederholte er.
    »Ja«, sagte ich. »Mach’s gut. Dann.« Ich rührte mich nicht. Wenn ich jetzt ginge, wäre es vorbei. Vorbei? Was? Nichts, verdammt. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich aufatmen oder in Tränen ausbrechen sollte. Ich konnte mich, Herrgottnochmal, nicht entscheiden. Also stand ich da und tat nichts. Die Fliege summte.
    »Willst du einen Kaffee?«
    Nein. Ich will, dass du mitkommst, dachte ich.
    »Gerne«, sagte ich. »Danke.«
    Ich folgte ihm in die Küche und ließ die Fliege zurück. Er stellte einen Porzellanfilter auf die Kanne.
    »Hör zu. So geht das nicht«, sagte er.
    »Ich bringe dich wieder zurück, in ein paar Tagen, wenn du willst.«
    »Ich habe keine Zeit, Claire. Morgen kommen Leute aus Berlin wegen einer bestimmten fleischfressenden Pflanze. Ich hatte schon früher Kontakt mit dem botanischen Garten dort. Die zahlen gut. Und der Laden muss auch weiterlaufen. Der wirft zwar nicht viel ab, aber für mich reicht’s. Ich brauche das Geld. Das weißt du doch.« Er goss Wasser über den Kaffee und ein aromatischer Duft breitete sich aus.
    »Schwarz, wie immer.« Er hielt mir einen Kaffeepott hin.
    »Schwarz.« Ich nahm ihn entgegen und berührte einen Moment seine Hand.
    Er lehnte am Fenster. Der Kaffee schmeckte bitter.
    »Warum?«, fragte ich.
    »Es war eine bescheuerte Idee.«
    »Ich weiß.«
    Die Fliege war in die Küche übergesiedelt. Vielleicht war es auch eine andere.
    »Du riechst gut.« Er blickte zu Boden.
    Darauf wusste ich nichts zu sagen.
    »Dann geh ich mal.« Aber ich ging nicht, ich stellte nur die Tasse ab.
    »Ich kann nicht mit.« Er nahm mein Gesicht in beide Hände und küsste mich. Mir war kalt. Es wurde Zeit für mich.
    »Also dann …«
    Tom trug meine Tasche zum Auto. Die Göttin sprang mühelos an, ein gutes Geräusch. Als ich die Kupplung kommen ließ, hob er die Hand. Seine Gestalt wurde immer kleiner im Rückspiegel.
    Die Straße vor mir schwamm in Tränen. Wo kamen die her?
    Ich hatte nicht mehr geheult, seit ich zwölf war und meine Großmutter zu Grabe getragen wurde. Sie war nicht sehr alt geworden, keine siebzig. Sie war der gütigste Mensch, der mir in meinem Leben begegnet war, der einzige eigentlich, der Zeit für mich hatte und mich ansah, als würde ich wirklich existieren. Ich besaß nur noch ihre Suppenteller, Steingut mit blauen Sternchen, von denen wir grüne Bohnen gegessen hatten. Sie spielte nicht mit mir. Sie war einfach da.
    Ich hatte nicht einmal geweint, als Paul die Koffer gepackt hatte und mit seiner Neuen nach Übersee ausgewandert war. Er hatte zwei, drei Jahre mit mir geteilt. Von dem Schwangerschaftsabbruch sagte ich ihm nichts, niemandem erzählte ich davon. Ich wollte ihn nicht aufhalten. Paul hatte sie ohnehin nicht verdient, die Tränen. Und nun waren sie plötzlich da. Ich hatte keine Antwort darauf.
    Die Straße war leer, Gewitterwolken zogen auf und verdunkelten die Landschaft. Zittrig drehte ich mir eine Zigarette über dem Lenkrad, als die ersten dicken Tropfen gegen die Scheibe platschten. Ich bog in eine Kurve ein. Das Letzte, was ich wahrnahm, war der Vorderreifen eines Trucks auf der Mittellinie und einen Knall.
    Der Schmerz stach sich einen Weg von meinem linken Bein in mein Hirn hinein. Ich hörte den Regen prasseln und ein Stöhnen, das mir fremd vorkam. Ich erbrach mich über die Trümmer des Armaturenbretts. Mein Brustkorb schmerzte. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, bis zu mir durchdrang, was geschehen sein musste. Eine Weile suchte ich nach dem Gurtschloss, als ich es fand, klemmte es. Das Atmen fiel mir schwer. Und das Bein, oh, das Bein. Ich konnte nicht sehen, was mit ihm passiert war, fühlte nur den Schmerz. Zeit verging, unendlich viel Zeit. Niemand würde mich finden, dachte ich, nicht, solange ich noch am Leben war. Nur der Schmerz erinnerte mich daran, dass ich es noch war, jetzt noch, bald nicht mehr. Mir war kalt. Dann hörte der Regen auf und ich erbrach mich erneut. Schade, dachte ich, ich hätte so gerne das Meer gesehen.
    Das Oval eines Gesichts erschien am kaputten Seitenfenster.
    »Alles in

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