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Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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aus der Garage, es war ein »Wartburg«, Baujahr 1979. Staub und verwelkte Blüten bildeten eine Schicht über dem stumpfen Lack, ein »Arzt im Dienst«-Schild klebte vergilbt an der Windschutzscheibe. Nach seiner Pensionierung hatte Frieder die Urlaubsvertretungen für den neuen Hausarzt übernommen, bis sein Augenlicht nachließ. Tom schloss die Fahrertür auf. Aus dem offenen Küchenfenster drangen Stimmen, dazwischen Musik. Tom hatte es plötzlich eilig und doch konnte er nicht einfach den Wagen starten, ohne wenigstens »Hallo« zu sagen. Die Haustür war angelehnt, er klopfte und trat ein.
    »Frieder? Ich bin’s.«
    »Komm rein, Tom. Immer den Tönen nach.« Frieder saß im Sessel, ein Glas Wein neben sich.
    »Annelie war so nett, mir deinen Wagen auszuleihen. Es ist dir doch recht?«
    »Fahr, wohin du willst. Ich warte derweil hier. Ich warte immer hier. Wo willst du überhaupt hin?« Er tastete nach einem Knopf am Tonbandgerät, um die Lautstärke herunterzudrehen.
    »Ans Meer.«
    »Mit der jungen Dame, wie hieß sie noch?«
    »Claire.«
    »Mit Claire?«
    »Nein. Sie ist bereits auf dem Weg dorthin. Ich werde sie schon finden.«
    »Gute Reise, Junge. Der Tank müsste fast voll sein. Man soll reisen, solange man noch den Weg findet.«
    »Es gibt Möglichkeiten, den Weg wieder zu finden, Frieder.«
    »Vielleicht. Aber nicht für mich. Ich bin weit genug gereist. Jetzt bin ich hier.«
    »Ich kann mich nicht erinnern, dass du viel unterwegs gewesen wärst.« Tom sah auf die Uhr, musste los, aber er wollte wissen, was Frieder meinte. Seit seiner Kindheit kannte Tom ihn nur im weißen Kittel; sein freundliches Gesicht zwischen den Bücherstapeln auf seinem Schreibtisch.
    »Ich habe alles gesehen, was es zu sehen gab«, sagte Frieder und stellte den Ton wieder lauter. Das Gespräch war beendet.
    Tom hob die Hand, sagte »also dann« und »danke« und wollte gehen, dann fiel ihm noch etwas ein. »Frieder?«
    Das Tonbandgerät wurde wieder leiser gestellt. »Was?«
    »Hast du vielleicht solche Pillen, wie Anton sie mir gegeben hat?«
    »Clonidin? Oder doch lieber ein paar Ampullen Morphin?« Frieders Augen wurden schmal und blickten so scharf wie einst. Nur war Tom sicher, dass ihr Blick ihn nicht erreichte. Vor die Entscheidung gestellt zu sein, war ihm unbehaglich.
    »Ich mach dir einen Vorschlag. Ich gebe dir beides mit. Du wirst wissen, was du tust.« Frieder erhob sich und machte ein paar unsichere Schritte, tastete sich an den Möbeln entlang in Richtung Tür. »Kannst du mir helfen? Die Sachen sind in meinem Arbeitszimmer.«
    Tom dirigierte Frieder am Ellenbogen in ein Zimmer unterm Dach, das von Möbeln okkupiert war. Hinter einer Schranktür stapelten sich Medikamentenpackungen, einige fielen zu Boden.
    »Bitte.« Frieder trat einen Schritt zurück. »Such dir die Medikamente selbst heraus. Ich kann ja doch nicht lesen, ob ich das richtige erwische, und achte auf das Haltbarkeitsdatum. Ich weiß nicht, wie lange manches von dem Zeug hier schon lagert.«
    Es war nicht zu übersehen, dass die Sammlung schon Jahre vor sich hin gedämmert haben musste. Tom brauchte einige Minuten, bis er das Clonidin fand, direkt daneben lag ein Päckchen Morphin, zehn Milligramm pro Ampulle. Er fand die Datumsangabe auf der Schachtel. Das Morphin war seit zwei Jahren abgelaufen, das Clonidin würde in sechs Monaten seine Haltbarkeit verlieren.
    »Danke, Frieder«, sagte er und steckte beide Packungen ein. »Wieso hast du eigentlich Morphin hier herumliegen?«
    Frieder antwortete nicht, sondern lächelte ins Leere, stellte die Musik wieder an.
     
    Tom lenkte den Wagen aus der Einfahrt heraus und bog auf die Bundesstraße in Richtung Norden ab. Die ungewohnte Revolverschaltung machte ihm Mühe. Er fragte sich, ob er bei Anton vorbeifahren sollte, um den Wartburg, der solange nicht gefahren worden war, durchchecken zu lassen, verwarf die Idee aber sofort. Er hatte keine Zeit zu verlieren.
    Eine halbe Stunde, in der er sich Gedanken über die Vergeblichkeit seiner Unternehmung hingab, war er unterwegs, als vor ihm die Warnblinkanlagen einer unübersichtlichen Reihe von Autos aufleuchteten. Einen Moment lang musste er suchen, bis er den Knopf für die eigene Warnblinkanlage fand, bremste hart und kam wenige Zentimeter vor der Stoßstange eines Audis zum Stehen. Tom lehnte sich zurück. Der Regen hatte aufgehört. Langsam setzte sich die Autoschlange in Bewegung, stop and go über zwanzig Minuten, dann konnte er erkennen, was den

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