Freiwild Mann
auserwählt, euch in unserem unablässigen Krieg gegen die Gesellschaft der Frauen zu führen. Hört deshalb auf das, was ich zu sagen habe. Diese Kreatur, Rura Alexandra, Vernichterin im Grenzregiment, ist unsere Gefangene. Und doch hat keiner von euch sie töten sehen. Keiner hat gesehen, wie sie versucht hat zu töten. Und ich habe gesehen, wie sie es abgelehnt hat zu töten. Wie ihr wißt, habe ich kürzlich meinen Sohn und meine Frau verloren. Diese Vernichterin war anwesend. Sie hatte keinen Anteil an dem Morden. Sie hätte mich töten können, aber sie hat es nicht getan. Deshalb lautet mein Urteil, daß sie leben soll. Außerdem, da ich ohne Frau bin, soll sie meine Frau sein. Und da ich ohne Sohn bin, soll sie mir einen gebären, soll mir das zurückerstatten, was ich verloren habe. Das ist mein Urteil und mein Wille. Ist jemand anwesend, der diesen Entschluß anfechten will?“
Für einige Augenblicke herrschte gespanntes Schweigen. Es endete, als ein Dolch durch die Luft flog und in das Holz des Stuhls eindrang, auf dem Diarmid MacDiarmid saß. Der Dolch traf die Stuhllehne wenige Zentimeter von Diarmids Kopf entfernt.
„Herr, ich fechte es an.“ Der Mann, der den Dolch geworfen hatte, trat hervor. Es war ein schwerer, muskulöser Mann, der beinahe ausschließlich in Fellen gekleidet war.
„Ah, der Duglas“, sagte Diarmid. „Du hast schon lange die Führung übernehmen wollen, nicht wahr?“
„Ja, Herr. Ich glaube, daß ich der bessere Mann für die anstehenden Aufgaben bin.“
„Und das ist deine Gelegenheit.“
„Das ist meine Gelegenheit.“
Diarmid MacDiarmid stand auf. „Mein Urteil wurde angefochten. Die Sache wird durch Einzelkampf entschieden, hier und jetzt.“
„Herr“, sagte der Duglas, „bleiben wir vernünftig. Laß die Höllenhure sterben und ruhe dich für eine Zeitlang aus. Ich will nicht gegen einen Mann kämpfen, der sich noch von seinen Wunden erholt.“
„Der Dolch war dein Bote“, sagte Diarmid. „Ich habe meine Voreingenommenheit angemeldet. Die Höllenhure wird meine Frau. Wir werden hier vor dieser Gesellschaft kämpfen und werden danach wieder klare Verhältnisse haben.“
„Nein!“ sagte Rura. „Tötet mich jetzt, damit nicht noch mehr Blut vergossen wird.“
„Sei still, Frau“, sagte Diarmid MacDiarmid. „Du redest zuviel.“
„Herr, ich werde jetzt nicht kämpfen“, sagte der Duglas. „Der Sieg wäre eine Schande, die ich nicht ertragen könnte.“
„Ziehst du deine Anfechtung zurück?“
„Nein.“
„Es tut mir wirklich leid. Dann müssen wir kämpfen.“
Einige Sekunden lang herrschte allgemeiner Aufruhr. „Zieh zurück, Duglas!“ – „Tötet die Höllenhure.“ – „Sie teilt uns.“ – „Gib ihr den verdienten Tod, Herr!“
„Ruhe!“ Wieder war Diarmid MacDiarmids Stimme nicht laut, aber wirkungsvoll. „Die Führung wurde angefochten. Ich beuge mich nicht. Ich ziehe mein Urteil nicht zurück. Wenn ich sterbe, stirbt auch die Höllenhure. Das reicht. Wenn der Duglas siegt, dann erlege ich euch Treue ihm gegenüber auf.“
Der bullige Mann, der die Anfechtung ausgesprochen hatte, schien über den Verlauf der Dinge nicht allzu glücklich zu sein. „Behalte die Frau für den Moment, den Rest regeln wir später.“
Diarmid schüttelte den Kopf. „Schlecht nachgedacht. So entwickeln sich Parteien. Parteien erzeugen Untreue.“
„Ihr braucht nicht zu kämpfen“, sagte Rura. „Ich …“ Jemand hatte ihr ins Gesicht geschlagen. Es war ein fester Schlag. Sie sah Sterne, und die Haut brannte, als ob sie Feuer gefangen hätte.
„Sei still, Höllenhure“, sagte Diarmid. „Du bist jetzt in einer Männerwelt. Du mußt viel lernen.“
„Die Waffe, Herr?“ Der Duglas schaute ängstlich auf Diarmid.
„Der Dolch, Mann. Was sonst? Für den Dolch brauche ich nur einen gesunden Arm.“
„Niederlage oder Tod?“
„Nur der Tod. Du vergißt die Parteien, Duglas. Tote Männer können keine Intrigen spinnen. Laßt uns jetzt nach draußen gehen, so daß einer von uns den Regen zum letzten Mal spüren kann.“
Sie verließen das Haus. Es fiel immer noch starker Regen, aber im Osten klarte es auf. Rura wurde von zwei Frauen festgehalten. Ihre Kleider waren dürftig und ärmlich. Sie stanken.
Keine zwanzig Meter vom Meer entfernt bildeten die Männer einen Kreis auf dem rauhen Boden. Die Wellen rauschten auf den Kiesstrand, und geräuschvoll blies der Wind. Es war ein trüber Tag zum Leben – oder zum Sterben.
Diarmid
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