Freiwild Mann
ist, kannst du unmöglich weiterhin tragen. Das ist weder praktisch noch klug.“
„Ich weiß.“
Er atmete durch und versuchte, seine Stimme beiläufig klingen zu lassen. „Ich habe Floras Bündel bei mir – und auch das von Ewan … Du findest Floras Bündel in der Küche. Sie hatte nicht viel. Es gab nie viel Habe. Aber es könnte was dabei sein, was du brauchen kannst.“
„Willst du das?“ Sie fühlte sich taub. Der Mann war völlig gefühllos. Wie konnte er sie so erniedrigen? Wie konnte er sie wie irgendeine austauschbare Frau behandeln? Weil er ein Schwein war, deshalb. Ein Schwein ohne Gefühle, ohne Vorstellungsvermögen.
Er sah ihren Gesichtsausdruck. „Nein, Mädel, es ist nicht das, was ich will. Und ich befürchte, es ist auch nicht das, was Flora wollte. Es ist einfach das, was notwendig ist.“
„Es mag für dich notwendig sein“, fuhr sie ihn an. „Für mich ist es nicht notwendig.“
„Du bist jetzt meine Frau.“
„Und?“
„Deshalb ist das, was für mich notwendig ist, auch für dich notwendig.“
„Das müssen wir erst noch sehen.“
Er stand auf und schlug sie. Ein Schlag mit der flachen Hand. Es war ein Klaps. Die Zähne schlugen in ihrem Kopf zusammen, ihr Gesicht schien zu brennen, und sie fiel flach zur Erde.
„Rura, versteh mich jetzt gut. Flora war eine großartige Frau. Sie hat viel mitgemacht. Sie hat sich nicht beschwert. Sie hat ihr Kind kreuz und quer durch Schottland geschleppt, durch manche gefährliche Situation. Sie hat gelernt, wie man die Toten auszieht, wie man den Feind bekämpft. Sie hat einem Kameraden, der am Verhungern war, Milch von ihrer Brust gegeben. Schließlich hat sie ihr Leben für das meine geopfert. Wenn ich dir ihre Kleider zum Anziehen gebe, dann erweise ich dir eine große Ehre. Eine zu große Ehre vielleicht. Aber Flora hätte das verstanden, auch wenn du es nicht verstehst.“
Tränen liefen ihm über die Wangen. Tränen wie Bäche, die von seinem Kinn herunter tropften. Rura vergaß ihren Schmerz, ihre Erniedrigung und wunderte sich über die Tränen. Schweine können nicht weinen.
„Es tut mir leid.“
„Belaste mich nicht mit deiner Trauer, Mädchen. Ich habe meine eigene. Schau dir die Kleider an. Zieh etwas an. Ob es paßt ist völlig schnurz. Wichtig ist allein, daß du nicht mehr als Vernichterin gesehen wirst, sondern als freie Frau.“
„Sind eure Frauen denn frei?“ Sie bereute die Worte in dem Moment, in dem sie sie ausgesprochen hatte. Sie bereute nicht die Frage, sondern den Zeitpunkt der Frage. Einen Mann, der weint, sollte man nicht schlagen, auch wenn er zuerst geschlagen hat.
„Sie haben die Freiheit, Frauen zu sein. Das genügt.“
Rura riß sich zusammen. „Letzte Nacht hast du gesagt, du wünschst, du könntest weinen.“
„Anscheinend ist mein Wunsch in Erfüllung gegangen. Befriedige dich jetzt an meiner Schwäche. Genieße sie in vollen Zügen. Ich bezweifle, daß du sie jemals wieder zu Gesicht bekommen wirst.“
„Ich habe noch nie Tränen in den Augen von Männern gesehen“, sagte Rura.
„Dann lerne etwas daraus, Höllenhure. Lerne etwas daraus.“
Rura ging in die Küche und öffnete Flora MacDiarmids Bündel. Es war ein trauriges kleines Bündel. Ein Schal, zwei Kilts, vier verblichene Hemden, ein Paar Schuhe, die auseinanderfielen, ein Metallkamm, ein Spiegel, eine kleine Parfümflasche, eine keltische Silberbrosche, ein Seidentuch und ein Lederbeutel mit zwei sauber etikettierten Haarlocken.
17
Diarmid hatte das Funkgerät auf die Wellenlänge des Grenzregiments eingestellt und hörte zu. Er erfuhr, daß Ruras Frauto nicht das einzige war, das abhanden gekommen war. Abgesehen von bekannten Verlusten der vortägigen Operation war ein weiteres Frauto nicht zurückgekehrt und hatte auch seine Position nicht gemeldet. Deshalb wurde eine massive Suchaktion auf die Beine gestellt, eine Suchaktion, die das gesamte Gebiet der Grampian Mountains abdecken würde. Das Grenzregiment wurde auf Alarmstufe eins gesetzt; alle Lochs, Täler und Schluchten sollten abgedeckt werden. Es war eine zu gute Gelegenheit, um sie auszulassen. Eine Gelegenheit, dem verhaßten Regiment weiteren Schaden zuzufügen.
Rura hatte einen Kilt und ein zerrissenes Hemd angezogen, das Beste, was sie finden konnte. In einem zerbrochenen Spiegel betrachtete sie sich selbst und sah eine wilde Hochlandsau. Was war aus der schicken Vernichterin geworden? Was aus der frischgebackenen Vernichterin mit dem silbernen
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