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Freiwild Mann

Freiwild Mann

Titel: Freiwild Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund Cooper
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daß Nahrung rar sein würde und daß Lindsays Zuflucht in einem eisigen und einsamen Griff gehalten werden würde. Es machte ihr nichts aus. Sie hatte Diarmid, und sie hatte das Kind in ihrem Bauch. Es machte ihr nichts aus. Irgendwie würde Diarmid schon Nahrung beschaffen. Irgendwie würden sie den Winter überstehen. Und im Frühling würde das Kind geboren werden.
    Sie konnte sich nicht sicher sein, daß Diarmid der Vater des Kindes war. Sie konnte sich nur sicher sein, daß der Vater ein Mann war, und das mußte reichen. Sie erinnerte sich an die Ex-Hauptfrau der walisischen Garde, die alte, windzerfurchte Frau, die eines Morgens aufgetaucht war, vor langer Zeit in einem anderen Universum, am Ufer des Serpentinensees. Rura spürte Mitleid mit ihr, tiefstes Mitleid. Sie fing an zu verstehen, was die Frau gefühlt haben mußte, als sie bemerkt hatte, daß das Kind in ihr wuchs. Sie wäre am liebsten in der Zeit zurückgereist und hätte die Frau geküßt und mit ihr wegen ihrer Fehlgeburt geweint und ihr versprochen, daß die Männer irgendwie überleben würden.
    In ihrem eigenen Leib konnte sie es spüren. Irgendwie würden die Männer überleben … Es war immerhin etwas, an das man glauben konnte. Es war etwas, an das man glauben mußte.
    Der Schnee verwandelte den Wald in ein Wunderland. Winzige Schneekristalle umrahmten die Bäume wie eisiges Feuer, verwandelten Piniennadeln in kostbare Verzierungen. Rura spazierte zwischen den Bäumen umher, bezaubert, und horchte auf das Schweigen und die Stille. Diarmid war fort, Rotwild jagen. Nicht mit einem Lasergewehr, von denen mehr als genug da waren, sondern mit der Armbrust. Er sagte, daß dies sauberer sei.
    Am Abend würde er mit oder ohne Wild zurückkommen, es machte nichts aus. Noch nicht. Die Nahrungsversorgung war noch kein Problem. Am Abend würde er zurückkommen, und dann gab es wieder die Zweisamkeit des Feuers und der Berührungen. Daraus war das Himmelreich gemacht.
    Rura ging mit einem Lasergewehr bestückt durch den Wald und bewunderte die saubere, kalte Schönheit des Schnees. Diarmid hatte ihr beigebracht, niemals ohne Waffe auszugehen, niemals sich irgendwo aufzuhalten, wo nicht eine Waffe in allernächster Nähe war. Aber wenn sie so durch den ruhigen Wald streifte, wenn kein Lüftchen den Schnee bewegte, dann haßte sie das Lasergewehr, ein Symbol der Zerstörung, und fand es schwer zu glauben, daß sie in einer Welt gelebt hatte, in der ein Teil der Menschheit sich zum Ziel gesetzt hatte, den anderen auszulöschen.
    Sie schaute auf ihre Fußstapfen zurück und war sich plötzlich dessen bewußt, wie vergänglich alle Dinge waren. Morgen würde der Schnee vielleicht schmelzen, oder vielleicht würde auch mehr Schnee fallen, und die Fußstapfen würden für immer verschwinden. So war es auch mit Menschen, wenn sie nicht … wenn sie nicht etwas erschufen, das sie überlebte und auch wiederum Leben erschaffen würde.
    Plötzlich war vor ihr ein Geräusch. Aufgeschreckt ergriff sie automatisch das Gewehr fester. Keine dreißig Meter weit entfernt, von zwei Pinien umrahmt, stand ein riesiger Rothirsch. Ein Bock, mit dem charakteristischen schweren Nacken und dem großen Geweih. Ein großartiges Tier. Er hatte offensichtlich geäst, durch den Schnee hindurch das Gras abgeknabbert. Aber jetzt schaute er Rura ruhig, beinahe verschwörerisch an.
    Sie schaute in seine Augen – große, braune, ausdrucksvolle Augen, ohne Furcht. Sie dachte an Diarmid, der draußen war, den Rothirsch zu jagen. Was würde er darum geben, um da zu sein, wo sie jetzt stand, mit der Armbrust in der Hand, den Bolzen eingelegt.
    Rura hatte im Hochland viele Hirsche gesehen; aber das hier war mit Sicherheit der allergrößte. An ihm mußten mindestens zwei Zentner gutes Fleisch sein.
    Sie war sich der Waffe in der Hand bewußt. Es wäre ein leichtes zu töten. Sie sollte töten. Sie und Diarmid hatten seit Tagen kein Wild mehr gegessen. Diarmid würde stolz auf sie sein, wenn sie einen Hirsch wie diesen erlegen würde. Sie könnten dann essen, soviel sie wollten, und hätten dann immer noch genug Fleisch, um es trocknen zu lassen, in Streifen zu schneiden und einzusalzen, so daß in Notzeiten noch etwas vorhanden war.
    Langsam hob sie das Gewehr. Der Bock rührte sich nicht. Sie setzte das Gewehr an und zielte. Dann sah sie den Ausdruck in den Augen des Hirschs. Es schien keine Furcht zu sein, sondern eine Frage. Eine stumme Frage.
    Seltsam. Vielleicht bildete sie es sich nur

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