Freiwild Mann

Unterschied. Es war ein kleiner, verzauberter Kosmos. Ein Ort, an dem ein Mann und eine Frau gefühlsmäßig und körperlich zueinander finden und zu sich selbst kommen konnten.
    Rura wollte alle Tage ihres verbleibenden Lebens in Lindsays Zuflucht wohnen.
     

26
     
    Am folgenden Morgen fiel weiterer Schnee. Nicht viel und nur kleine, trockene, pulvrige Kristalle; aber genug, um das Bild des Waldes noch winterlicher zu machen, ohne Bewegungen entscheidend zu erschweren. Diarmid, der überzeugt war, daß der Winter früh kommen würde, haßte den Schnee. Für ihn bedeutete er weniger Wild und Hunger. Er hatte zu viele schottische Winter hinter sich, als daß er die antiseptische Schönheit des Waldes und die dunkle Größe der Berge noch hätte genießen können.
    Er häutete den Hirsch, den er getötet hatte, und schnitt das Fleisch vorsichtig in Streifen. Dann ging er wieder jagen. Viel Fleisch mußte getrocknet, versiegelt und in einer Schneehöhle verstaut werden, wenn der Winter so lang werden würde, wie er annahm. Biltong herzustellen war einfach, aber arbeitsaufwendig. Das Fleisch mußte in möglichst dünne Streifen geschnitten werden, dann wurden die Streifen in der Sonne aufgehängt, um sie trocknen zu lassen, wenn Wind und Wetter dafür geeignet waren. Wenn das Wetter schlecht war, dann konnte zum Trocknen ein Feuer verwendet werden; aber ein Teil des am Feuer getrockneten Fleischs würde immer schlecht werden, bevor es gänzlich vom Wasser befreit war.
    Rura ging angeblich in den Wald, um Holz und Reisig zum Feueranmachen zu sammeln. Aber das war nur ein Vorwand, um zwischen den Bäumen umherstreifen zu können, in ihrer Schönheit aufzugehen und Tagträumereien nachzuhängen.
    Sie hatte ein geheimes Laster entwickelt. Sie konstruierte eingebildete Utopias, wo die Leute ihr Leben nicht damit zubringen mußten, genug Nahrung zum Überleben zu finden, und wo sie nicht versuchten, sich gegenseitig umzubringen. In ihrem Kopf erschuf sie eine Welt, in der es keinen Krieg zwischen Männern und Frauen gab und wo sie ihr Kind in Frieden austragen konnte, wo sie es wachsen sehen und dann einen kreativen Part im Fortschreiten der Menschheit übernehmen konnte.
    Es war angenehm, im Wald zu spazieren, zu träumen und Holz zu sammeln. Es war auch angenehm, sich auf die Zärtlichkeiten des Abends zu freuen – das Teilen der Nahrung beim Schein des Feuers, das Teilen der Lektüre beim Schein des Feuers, das Teilen der Liebe beim Schein des Feuers.
    Sie kehrte zu Lindsays Zuflucht mit genügend Holz und Reisig zurück, um eineinhalb Feuer damit zu füttern. Das war die Menge, die sie für gewöhnlich sammeln wollte – ein wenig mehr als nötig, für Tage der Krankheit und des schlechten Wetters. Für Tage, an denen der Schnee zu tief war, wenn sie zu dick war, um noch hinausgehen zu können, wenn die Elemente sie zur Gefangenen machen, sie und Diarmid in ihrer paradiesischen Steinbastion festnageln würden.
    Sie war in der üblichen guten Laune, als sie das Haus erreichte. Den Besuch des gestrigen Tages hatte sie nicht vergessen; aber sie hatte die Gedanken daran in den Hinterkopf verbannt. Es war etwas, was sie nicht wissen wollte. Es waren Eindringlinge. Vielleicht hätte sie sonst die Fußspuren im Schnee, die zur Haustür führten, bemerkt …
    Sie betrat Lindsays Zuflucht und sah die beiden Höllenhuren, die Frauen in Schwarz, die Lasergewehre auf sie gerichtet hielten.
    „Ruhig, Sau. Sonst verbrenne und sei verdammt.“ Die Grenzerin, die das sagte, war sehr jung. Goldhaarig, blauäugig. Aufregung und Erwartung spiegelten sich in ihrem Gesicht wider. Sie wollte töten.
    Rura ließ das Holz, das sie hielt, fallen und stand ohne Bewegung. Die junge Vernichterin tat ihr leid. Dann bekam sie Wut. Niemand hatte das Recht, in Lindsays Zuflucht einzudringen.
    „Stell dich mit dem Gesicht zur Wand, Sau“, fuhr die junge Vernichterin fort. „Die Hände über den Kopf und an die Wand, Beine auseinander. Versuche, nicht zu atmen. Das macht uns nämlich nervös.“
    Rura spürte die Hände unter ihren Armen, an der Taille und an den Hüften, sogar zwischen den Beinen. Früher einmal waren die Berührungen von Frauenhänden gewohnt und annehmbar gewesen. Jetzt waren sie fremd und unangenehm.
    „Umdrehen, Schweinefleisch.“
    Während die andere, die dunkelhaarige Vernichterin, sie weiterhin mit dem Lasergewehr in Schach hielt, tastete die junge ihr Brüste und Bauch ab. Jede Brust hielt sie kurz fest umspannt, als ob