Fremd fischen
mit Wodka herunter. Ich könnte Dex gründlich bestrafen, ihnen die Hochzeit verderben und meinem eigenen Jammer ein Ende setzen.
Sei nicht albern. Es ist nur ein bisschen Herzweh. Du wirst drüber hinwegkommen. Ich denke an all die Herzen, die in diesem Augenblick in Manhattan, auf der ganzen Welt gebrochen werden. All dieser überwältigende Schmerz. Ich fühle mich weniger allein, wenn ich daran denke, dass auch andere Leute gerade innerlich in kleine Fetzen zerrissen werden. Männer, die ihre Ehefrauen nach zwanzig Jahren Ehe verlassen. Kinder, die weinen:«Verlass mich nicht, Daddy! Bitte bleib!»Das, was ich fühle, ist mit solchem Schmerz sicher nicht vergleichbar. Es war doch nur eine Sommerromanze, denke ich. Hat nie über den August hinaus dauern sollen.
Ich stehe auf, gehe zu meinem Bücherregal und nehme die Altoids-Dose herunter. Ich habe eine letzte Hoffnung. Wenn ich zwei Sechsen würfele, wird er es sich vielleicht anders überlegen und zu mir zurückkommen. Wie um die Würfel zu verzaubern, blase ich einmal darauf, wie Dex es getan hat. Dann schüttle ich sie einmal in der Rechten, und sorgfältig, sehr sorgfältig, lasse ich sie rollen. Genau wie beim ersten Mal kommt ein Würfel eher zur Ruhe als der zweite. Eine Sechs! Ich halte den Atem an. Eine kurze Sekunde lang sehe ich die Punkte umeinander wirbeln, und ich glaube schon, ich hab’s wieder geschafft. Ich knie mich hin und starre auf den zweiten Würfel.
Es ist nur eine Fünf.
Ich habe eine Elf gewürfelt. Es ist, als wollte sich jemand über mich lustig machen: Knapp daneben ist auch vorbei.
Ich bin irgendwo über dem Atlantik, als ich beschließe, Ethan nicht alles bis ins letzte blutrünstige, Mitleid erregende Detail zu erzählen. Ich werde mich nicht ausgiebig in meinem Unglück suhlen, wenn das Flugzeug auf britischem Boden gelandet ist. Das wird der erste Schritt sein, der mich über Dex hinwegbringt und mich mein Leben weiterführen lässt. Aber für die Dauer des Fluges erlaube ich mir, über ihn und meine Situation nachzudenken. Darüber, dass ich mich aus dem Fenster gelehnt und verloren habe. Dass es besser ist, ein Glas als halb leer zu betrachten. Dass es mir jetzt sehr viel besser ginge, wenn ich diesen Weg niemals gegangen wäre, wenn ich mich nie der Gefahr ausgesetzt hätte, abgewiesen und enttäuscht zu werden, wenn ich Darcy nie die Chance gegeben hätte, mich schon wieder zu besiegen.
Ich lehne die Stirn ans Fenster, als das kleine Mädchen hinter mir gegen meinen Sitz tritt, einmal, zweimal, dreimal. Ich höre, wie die Mutter mit zuckersüßer Stimme sagt:«Aber Ashley, du darfst nicht gegen den Sitz der netten Dame treten.»Ashley tritt weiter zu.«Ashley! Das ist gegen die Regeln. Im Flugzeug wird nicht getreten», mahnt die Frau mit übertriebener Ruhe, als wolle sie allen ringsherum demonstrieren,
was für eine kompetente Mutter sie sei. Ich schließe die Augen, und wir fliegen in die Nacht hinein. Ich öffne sie erst wieder, als die Stewardess vorbeikommt und Kopfhörer anbietet.«Nein danke», sage ich.
Ich brauche keine Ablenkung. Ich werde genug damit zu tun haben, die nächsten paar Stunden mit so viel Jammer wie möglich voll zu stopfen.
Ich habe Ethan gesagt, er soll nicht nach Heathrow kommen – ich würde mir ein Taxi nehmen. Aber ich hoffe, er kommt trotzdem. Obwohl ich in Manhattan wohne, schüchtern andere Großstädte, besonders ausländische, mich ein. Ich war mit meinen Eltern zu ihrer Silberhochzeit in Paris und Rom, aber davon abgesehen habe ich die USA nie verlassen. Einmal war ich auf der kanadischen Seite der Niagarafälle, aber das gilt wohl nicht. Deshalb bin ich erleichtert, als ich Ethan auf der anderen Seite der Zollabfertigung erblicke – strahlend, jungenhaft und fröhlich wie immer. Er trägt eine neue Hornbrille wie die von Buddy Holly, nur in Braun. Er stürmt auf mich zu und schlingt mir die Arme fest um den Hals. Wir freuen uns beide.
« Es ist so schön, dich zu sehen! Komm. Gib mir deine Tasche.»
« Gleichfalls.»Ich lache ihn an.«Deine Brille gefällt mir.»
« Sehe ich damit schlauer aus?»Er schiebt die Brille auf der Nase hoch, nimmt eine gelehrte Pose ein und streicht sich den nicht vorhandenen Bart.
« Viel.»Ich kichere.
« Ich bin so froh, dass du da bist.»
« Ich auch.»
Ein Sommer voller falscher Entscheidungen – aber
endlich habe eine richtige getroffen. Ethans bloßer Anblick wirkt schon lindernd.
« Es wurde auch Zeit, dass du kommst», sagt er
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