Fremd fischen
widerstehen.
« Auf keinen Fall», sagt sie.«Tu’s nicht. Ruf ihn nicht an.»
« Und wenn er betrunken war und sich an unser Gespräch nicht mehr erinnert?»Ich greife nach Strohhalmen.
« Dann hat er Pech gehabt.»
« Glaubst du, er weiß es noch?»
« Er weiß es noch.»
« Hm. Ich wünschte, ich hätte den Mund gehalten.»
« Warum? Weil du dann noch ein paar Nächte mit ihm verbringen könntest?»
« Nein», sage ich betreten.
Aber genau das ist der Grund.
Nach weiteren qualvollen Tagen – ich kann nicht essen, nicht arbeiten, nicht schlafen – komme ich zu dem Schluss, dass ich verschwinden muss. Ich muss woanders sein, weit weg von Dex. Nur wenn ich die Stadt verlasse, kann ich verhindern, dass ich ihn anrufe und alles zurücknehme – für eine Nacht, für eine Minute mit ihm. Ich überlege, ob ich nach Indiana fliegen soll, aber das ist nicht weit genug. Außerdem wird mich zu Hause alles an Darcy und die Hochzeit erinnern.
Ich rufe Ethan an und frage, ob ich ihn besuchen kann. Er ist begeistert und sagt, ich könne jederzeit kommen. Also rufe ich United an und buche einen Flug
nach London. Es sind nur noch fünf Tage bis zum Abflug, und deshalb muss ich den vollen Preis bezahlen – achthundertneunzig Dollar –, aber jeder Cent ist es mir wert.
Ich schreibe meine Urlaubsmeldung und gehe zu Les, um sie ihm zu geben. Gottlob ist er nicht im Büro.
« Er ist in einem Meeting außer Haus. Gott sei Dank», sagt Cheryl, seine Sekretärin. Sie ist meine Verbündete, und sie warnt mich oft, wenn Les besonders miese Laune hat.
« Ich hab bloß ein paar Sachen für ihn», sage ich und begebe mich in die Höhle des Löwen.
Ich lege einen Entwurf unserer Entgegnung auf seinen Stuhl und verstecke die Urlaubsmeldung darunter. Dann überlege ich es mir anders und lege die Notiz oben auf den Stapel. Er wird stinksauer sein. Bei diesem Gedanken muss ich lächeln.
« Was gibt’s zu grinsen?», fragt Cheryl, als ich aus seinem Zimmer komme.
« Urlaubsmeldung», sage ich.«Erzähl mir nachher, wie oft er mich verflucht hat.»
Sie zieht die Brauen hoch und sagt«Oh-oh», ohne beim Tippen aus dem Takt zu kommen.«Da kriegt aber jemand Ärger .»
Les ruft mich am Abend an, als er von seinem Meeting zurückkommt.«Was soll das?»
« Was denn?»Ich weiß, dass meine Gelassenheit ihn noch mehr reizen wird.
« Sie haben mir nicht gesagt, dass Sie in Urlaub fahren. »
« Oh, ich dachte, das hätte ich», lüge ich.
« Wann?»
« Ich weiß nicht genau … vor ein paar Wochen. Ich fahre zu einer Hochzeit.»Zweite Lüge.
« Herrgott nochmal.»Er atmet ins Telefon und wartet darauf, dass ich den Urlaub absage. Früher, in meinem ersten Jahr, hätte dieser passiv-aggressive Trick vielleicht funktioniert. Aber jetzt sage ich gar nichts. Ich sitze ihn aus.
« Ist es eine Hochzeit in der Familie?», fragt er schließlich. Da zieht er die Grenze: Familienhochzeiten, Familienbegräbnisse. Und meint dabei wahrscheinlich nur die engste Verwandtschaft. Also sage ich, dass meine Schwester heiratet. Dritte Lüge.
« Sorry», sage ich flapsig.«Ehrenjungfer, wissen Sie.»
Ich lasse ihn ein Weilchen toben und leere Drohungen ausstoßen, dass er den Fall an jemand anderen übertragen werde. Als ob alle darauf erpicht wären, mit ihm zusammenzuarbeiten. Als ob es mir etwas ausmachen würde, wenn er mich mit jemand anderem ersetzte. Und dann verkündet er genussvoll, dass es bis Freitag für mich kein Leben außerhalb des Büros mehr geben könne. Das dürfte kein Problem sein, denke ich mir.
Kurz darauf ruft Darcy an. Sie hat genauso viel Verständnis wie Les.«Wie kannst du so kurz vor meiner Hochzeit verreisen?»
« Ich hab Ethan versprochen, ihn diesen Sommer zu besuchen. Und der Sommer ist fast vorbei.»
« Was hast du denn gegen den Herbst? London ist im Herbst bestimmt noch schöner.»
« Ich brauche Urlaub. Jetzt.»
« Wieso jetzt?»
« Ich muss einfach hier raus.»
« Warum? Hat es was mit Marcus zu tun?»
« Nein.»
« Hast du ihn wiedergesehen?»
« Nein.»
« Warum nicht?»
« Okay. Vielleicht hat es doch was mit Marcus zu tun …», sage ich, damit sie die Klappe hält.«Ich glaube einfach nicht, dass es mit ihm was wird. Und vielleicht bin ich auch ein bisschen kaputt. Okay?»
« Oh», sagt sie.«Das tut mir wirklich Leid, dass es nicht mit euch klappt.»
Das Letzte, was ich haben will, ist Darcys Mitleid. Ich sage, dass es eigentlich mehr mit meiner Arbeit zu tun hat.«Ich brauche einfach
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