Fremd fischen
fast selbst, was ich da gesagt habe. Zum ersten Mal in diesem Sommer bin ich frei. Vielleicht so frei wie noch nie im Leben. Ich habe die Initiative ergriffen. Ich habe eine Entscheidung getroffen. Ich suche mir ein Plätzchen auf der hinteren Terrasse und bin allein im Gedränge. Mein Herz pocht heftig.
Kurz darauf hat Dex mich gefunden und packt meinen Ellenbogen.
« Das meinst du nicht ernst, was du da gesagt hast … dass es dir egal ist.»Jetzt ist zur Abwechslung er es, der beunruhigt ist. Es ist immer wieder erstaunlich, wie narrensicher die Regel ist: Derjenige, der am wenigsten engagiert ist (oder so tut), hat die Macht. Das habe ich gerade wieder bewiesen. Ich schüttele seine Hand ab und sehe ihm kalt in die Augen. Er schiebt sich näher heran und greift abermals nach meinem Arm.
« Es tut mir Leid, Rachel», flüstert er und beugt sich über mich.
Ich werde nicht weich. Ich will es nicht.«Ich hab diesen Widerstreit der Gefühle satt, Dex. Diesen endlosen Kreislauf von Hoffnung, Schuldgefühlen und Groll. Ich hab keine Lust mehr, mich zu fragen, was aus uns wird. Ich hab keine Lust mehr, auf dich zu warten.»
« Ich weiß. Es tut mir Leid», sagt er.«Ich liebe dich, Rachel.»
Ich merke, dass ich schwach werde. Trotz meiner Tough-Girl -Fassade kribbelt es in mir. Weil er mir so nah ist. Weil ich höre, was er sagt. Ich schaue ihm in
die Augen. Mein Instinkt und meine Sehnsucht – alles in mir drängt mich dazu, Frieden zu schließen und ihm zu sagen, dass ich ihn auch liebe. Aber ich kämpfe wie eine Ertrinkende in der Brandung dagegen an. Ich weiß, was ich sagen muss. Ich denke an Hillarys Rat und daran, wie sie mich gedrängt hat, den Mund aufzumachen. Aber ich tue es nicht für sie. Ich tue es für mich. Ich formuliere die Sätze: Worte, die den ganzen Sommer hindurch in meinem Kopf rumort haben.
« Ich will mit dir zusammen sein, Dex», sage ich mit fester Stimme.«Sag die Hochzeit ab. Komm zu mir.»
So.
Nach zwei Monaten des Wartens – nach einem Leben ohne meine bewusste Einflussnahme – steht jetzt alles auf dem Spiel. Ich fühle mich erleichtert, befreit und verwandelt. Ich bin eine Frau, die erwartet, glücklich zu sein. Ich habe es verdient , glücklich zu sein. Und er wird mich sicher glücklich machen.
Dex holt Luft und will antworten.
« Nicht.»Ich schüttle den Kopf.«Bitte nimm keinen Kontakt zu mir auf – es sei denn, du sagst mir, dass die Hochzeit abgesagt ist. Bis dahin haben wir nichts mehr zu bereden.»
Wir schauen einander in die Augen. Eine ganze Weile zuckt keiner von uns mit der Wimper. Und dann besiege ich Dex zum ersten Mal im Wettstarren.
Es ist zwei Tage nach meinem Ultimatum, und die Hochzeit soll in einem Monat sein. Ich bin immer noch belebt von meinem entschlossenen Auftritt und erfüllt von einem hochfliegenden positiven Gefühl, das stärker ist als Hoffnung. Ich habe Vertrauen zu Dex. Vertrauen zu uns. Er wird absagen. Und danach werden wir zusammen glücklich sein bis ans Ende unserer Tage. Oder so ähnlich.
Natürlich mache ich mir Sorgen um Darcy. Ich befürchte sogar, sie könnte etwas Verrücktes tun, wenn sie zum ersten Mal erfährt, was Zurückweisung ist. Ich stelle mir vor, wie sie schmachtend in einem Krankenhausbett liegt, mit Infusionsschläuchen im Arm und dunklen Ringen unter den Augen, strähnigem Haar und grau im Gesicht. In meiner Vorstellung bin ich bei ihr, ich bringe ihr Zeitschriften und Lakritz und verspreche ihr, dass alles gut werden wird und dass alles, was geschieht, aus gutem Grund passiert.
Aber selbst wenn es dazu kommen sollte, werde ich nie bereuen, dass ich Dex ehrlich gesagt habe, was ich will. Es wird mir niemals Leid tun, dass ich es habe darauf ankommen lassen. Einmal im Leben habe ich mich selbst genauso wichtig wie Darcy genommen.
Die Tage vergehen, ich gehe zur Arbeit, komme nach Hause, gehe zur Arbeit, komme nach Hause und warte darauf, dass die Bombe fällt. Ich bin sicher, dass Dex jeden Augenblick anrufen wird und Neuigkeiten hat. Gute Neuigkeiten. Einstweilen bleibe ich standhaft und weigere mich, der Versuchung nachzugeben und
ihn zuerst anzurufen. Aber dann vergeht eine ganze Woche, und ich fange an zu ermatten. Ich spüre, dass mein früheres Ich sich zurückmeldet. Ich erzähle Hillary, dass ich ihn anrufen möchte, denn ich weiß, dass sie es mir ausreden wird. Ich komme mir vor wie eine Trinkerin, die sich mit letzten Kräften zu einem Meeting der Anonymen Alkoholiker schleppt, um ihrem Drang zu
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