Fremd fischen
Eltern hat sich nicht mehr weiterentwickelt, seit auf Ronald Reagan geschossen wurde. Das Haus ist mit Landleben-Indikatoren angefüllt – Kreuzstickereien mit fröhlichen Weisheiten wie« Morgenstund hat Gold im Mund», holzgeschnitzte Kühe, Schweine und Ananasfrüchte, und überall schablonengemalte Bordüren.
« Schöne Tapete», sage ich und bemühe mich, aufrichtig zu klingen.
Meine Mom lässt sich nichts vormachen.«Ich weiß, du magst keine Tapeten – aber dein Vater und ich», sagt sie und winkt mich in die Küche.«Und wir sind diejenigen, die hier wohnen.»
« Ich habe nie gesagt, dass ich Tapeten mag», sagt mein Dad und zwinkert mir zu.
Sie sieht ihn mit geübter Verärgerung an.«Das hast du sehr wohl gesagt, John.»Dann verrät sie mir in einem Flüsterton, der für seine Ohren gedacht ist, dass mein Vater die neue Tapete sogar ausgesucht hat.
Er sieht mich mit Unschuldsmiene an.
Dieses Spielchen werden sie niemals leid – sie gibt die furchtlose Anführerin, die ihren widerspenstigen Ehemann am Zügel führt, und er den gutmütigen Trottel. Als Jugendliche ist mir die Monotonie des Ganzen nicht selten auf die Nerven gegangen, besonders wenn ich Freunde zu Besuch hatte, aber in den letzten Jahren gefällt es mir eigentlich. Die Unveränderlichkeit ihrer Interaktion hat etwas Tröstliches. Ich bin stolz darauf, dass sie immer noch zusammen sind, während die Eltern
so vieler Freunde längst geschieden und wieder verheiratet sind und mit mehr oder weniger großem Erfolg aus zwei Familien eine gemacht haben.
Meine Mom deutet auf einen Teller mit Cheddar, Ritz Crackers und roten Weintrauben.«Essen», sagt sie.
« Sind die Trauben kernlos?», frage ich. Trauben mit Kernen sind der Mühe nicht wert.
« Ja», sagt meine Mom.«Also. Soll ich uns was zusammenrühren, oder möchtest du lieber Pizza bestellen? »
Sie weiß, dass ich die Pizza vorziehe. Erstens liebe ich Sal’s Pizza, und ich kriege sie nur, wenn ich zu Hause bin. Und zweitens ist«was zusammenrühren»eine exakte Beschreibung der Kochkünste meiner Mom. Ihre Vorstellung von Gewürzen besteht aus Salz und Pfeffer und ihre Vorstellung von einem Rezept aus Tomatensuppe mit Crackern. Nichts erfüllt mein Herz mit größerem Schrecken als der Anblick meiner Mutter, die sich eine Schürze umbindet.
« Pizza», antwortet mein Dad für uns beide.«Wir wollen Pizza.»
Meine Mom nimmt einen mit Magneten befestigten Flyer von Sal’s von der Kühlschranktür, wählt die Nummer und bestellt eine große Pizza mit Pilzen und Salami. Dann hält sie die Sprechmuschel zu.«Richtig, Rachel?»
Ich strecke den Daumen hoch. Sie strahlt vor Stolz, weil sie meine bevorzugte Zusammenstellung behalten hat.
Noch bevor sie aufgelegt hat, erkundigt sie sich nach meinem Liebesleben, als wären alle meine telefonischen Updates, in denen ich sie darüber informiert habe, dass gerade nichts läuft, nur ein Täuschungsmanöver
gewesen und als hätte ich mir die Wahrheit für diesen Augenblick aufgehoben. Mein Vater hält sich in gespielter Verlegenheit die Ohren zu. Ich lächle schmal und denke insgeheim, dass diese Inquisition das Einzige ist, was mir beim Nachhausekommen nicht gefällt. Ich habe dann das Gefühl, ich sei eine Enttäuschung. Dass ich sie im Stich lasse. Ich bin ihr einziges Kind, ihre einzige Möglichkeit, Enkelkinder zu bekommen. Die Rechnung ist ziemlich einfach: Wenn ich in den nächsten fünf Jahren nicht irgendwann Kinder bekomme, werden sie es wahrscheinlich nicht mehr erleben, dass ihre Enkel ihr College-Examen ablegen. Es gibt nichts Besseres als ein bisschen Extradruck bei einem ohnehin schon stressreichen Unternehmen.
« Da gibt’s keinen einzigen jungen Mann?», fragt meine Mom, während mein Dad auf dem Teller nach der idealen Scheibe Käse stöbert. Ihre Augen sind groß und hoffnungsvoll. Ihr Sondieren könnte unsensibel erscheinen, aber sie glaubt wirklich, dass ich unter Dutzenden wählen kann und dass zwischen mir und ihren Enkelkindern nur eines steht, nämlich meine Neurosen. Sie begreift nicht, dass einfache, geradlinige und gegenseitige Liebe – wie ihre zu meinem Vater – nicht so leicht zu finden ist.
« Nein», sage ich und senke den Blick.«Ich sage dir, in New York ist es schwerer als irgendwo sonst, einen guten Mann zu finden.»Das ist das Klischee vom Single-Leben in New York, das aber nur existiert, weil es wahr ist.
« Das kann ich mir vorstellen», sagt mein Dad ernst.« Zu viele, die wie Hamster im
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