Fremd fischen
Vielleicht mal ins Theater.»
Ich sehe die vier vor mir, wie sie zusammen ausgehen. Es tut weh, dass ich seinen Vater nicht kennen lernen kann, und das macht es mir umso schmerzlicher bewusst: Ich bin nicht mit Dex zusammen. Ich bin«die Andere». Ich denke an all die anderen Frauen, die ab und zu einen Donnerstagabend bekommen, aber niemals die Ferien oder die Familienfeste oder die wichtigen Abendessen mit Geschäftsfreunden. Sie sind überall dort ausgeschlossen, wo es wirklich darauf ankommt. Und dann denke ich, dass Dex mir nicht mal eine einzige dieser Versprechungen gemacht hat – ob wahr oder falsch –, die in Filmen immer die andere Frau bekommt. Nichts als einige«Ich liebe dich»und zwei rote Würfel.
Am Samstagabend überredet Hillary mich, mit ihr und Julian auszugehen. Ich habe leise Skrupel, weil ich ihr Abendessen sprengen könnte, aber ich sage trotzdem Ja, da ich nicht mit meinen Gedanken an Dex allein sein möchte. Ich habe an nichts anderes denken können
als an dieses gemütliche Wochenende mit der Familie, und dauernd sehe ich Dex vor mir, wie er lächelt, umgeben vom unvermeidlichen Hochzeitsgeplauder, und so tut, als sei er mit seinen Vorbereitungen gut im Plan. Vielleicht ist er es sogar. Ich habe keine Ahnung, was los ist, und nach unserem gemeinsamen Wochenende ist das Warten und Rätselraten nur noch schwerer zu ertragen.
Also marschiere ich hinunter nach Gramercy und treffe mich mit Hillary und Julian im«I Trulli», einem romantischen italienischen Restaurant. Wir sitzen an einem kleinen runden Tisch in dem wunderschönen Garten, umgeben von Natursteinmauern, und über uns ist ein Stück marineblauer Himmel. Die Terrasse ist mit Kerzen beleuchtet, und winzige weiße Lämpchen sind in die Zweige der Bäume geschlungen. Die Kulisse könnte romantischer nicht sein. Abgesehen von der Tatsache, dass ich das fünfte Rad am Wagen bin.
Nach einer Viertelstunde weiß ich, dass ich Julian mag. Er ist überhaupt nicht affektiert, aber er spricht langsam und wählt seine Worte sorgfältig – er sagt« bevorzugen»statt«lieber haben»,«angenehm»statt« nett»und«beginnen»statt«anfangen». Das sind schlichte Alternativen, keine extravaganten Fundstücke aus dem Synonymwörterbuch, und deshalb weiß ich, dass er nicht angeben will. (Ich hatte mal ein Date mit einem, der an einem einzigen Abend sowohl von« eloquenten»Menschen sprach als auch über ihre« der Gesundheit dienlichen»«Betätigungen», die er zudem«très chic»fand. Seine Einladung zu Date Nummer zwei habe ich abgelehnt, weil ich Angst hatte, er würde im Zylinder kommen.) Und auch wenn er nicht im herkömmlichen Sinne gut aussieht, gefällt er
mir. Mit seinem lockigen, eher langen Haar, der sonnengebr äunten Haut und den dunkelbrauen Augen erinnert er mich an einen portugiesischen Fischer.
Ich sehe zu, wie er über etwas lacht, das Hillary gerade gesagt hat, und sich dabei zu ihr hinüberlehnt. Niemand würde auf den Gedanken kommen, dass sie sich erst seit einer Woche kennen. Sie gehen entspannt und natürlich miteinander um, und Hillary tut nichts von dem, was Frauen in der ersten Phase einer Beziehung normalerweise machen. Sie fragt ihn zweimal, ob sie Spinat zwischen den Zähnen habe, sie isst ihre Pasta restlos auf, und sie besteht darauf, dass wir noch ein Dessert bestellen.
Über unserem Käsekuchen erzählen Hillary und ich ihm, wie verhasst uns unser Job ist. Er fragt uns, warum wir nicht einfach kündigen. Das ist nicht so einfach, sagen wir: goldene Handschellen, Kredite abbezahlen, bla, bla, bla. Und außerdem, was wollen wir sonst machen? Er sieht mich an und fragt: Ja, was wollt ihr sonst machen? Ich werfe einen Blick zu Hillary hinüber und will, dass sie zuerst antwortet.
« Hill würde ein Antiquitätengeschäft eröffnen», sagt er und berührt ihr Handgelenk.«Stimmt’s?»
Hillary lächelt ihn an. Sie haben schon über ihre Träume gesprochen. Ich wette, das Geschäft, das sie eröffnet, ist in Montauk.
« Und was ist mit dir, Rachel?», fragt Julian noch einmal.
Es ist eine gebräuchliche Frage bei Vorstellungsgespr ächen in Anwaltsfirmen, gleich nach:«Warum haben Sie sich für das Jurastudium entschieden?», was natürlich unweigerlich mit dem Streben nach Gerechtigkeit beantwortet wird, während du in Wirklichkeit denkst:«Weil ich ein Streber der Extraklasse war und
keine Ahnung hatte, was ich sonst anfangen sollte; ich hätte ja Medizin studiert, aber ich kann kein Blut sehen.»
Ich
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