Fremd küssen. Roman
verabrede ich, dass wir Samstag früh nach Bremen fahren und den ganzen Kram holen. Richard meint, das sei eine großartige Idee, dann könne er ja mit Frau Eichner, Pitbull und Pinki meine Wohnung weiter leer räumen. Ich würde dabei ja sowieso nur stören, weil ich mich nie von irgendwelchen Sachen trennen könnte. Warum stellen sie eigentlich nicht alles gleich auf den Sperrmüll? Das würde vieles einfacher machen.
Um eins bin ich zu Hause. Habe gar nicht an Marius gedacht. Belüge mich selbst.
Schatz, vergiss ihn doch einfach.
24
Am nächsten Tag renne ich zum Bahnhof und kaufe mir das »Happy Weekend«. Unsere Anzeige ist tatsächlich drin. Als Info-Hotline haben wir Pitbulls Nummer angegeben. Ich rufe ihn sofort an, um zu wissen, ob schon jemand Infos wollte, aber es ist ständig besetzt. Schließlich rufe ich auf seinem Handy an, nach Ewigkeiten nimmt er ab und brüllt: »Wer auch immer das ist, leg auf und lass mich in Ruhe, hier ist die Kacke am Dampfen!« Dann bemerkt er, dass ich es bin, und schreit: »Caro, du glaubst nicht, was hier los ist! Seit acht Uhr klingelt das Telefon ununterbrochen. Komm sofort her und mach Telefondienst!« Ich kann natürlich nicht, weil ich in die Redaktion muss, mache ihm aber den Vorschlag, Ruth oder Iris einzusetzen. Das findet er gut.
Im Sender sitze ich den ganzen Tag auf glühenden Kohlen, traue mich aber nicht, bei Pitbull anzurufen. Nicht auszudenken, wenn nur ein paar Leute angerufen haben und dann niemand mehr. Aber um 16 Uhr ruft er mich an und hat eine heisere Stimme. Im Hintergrund höre ich Ruth sprechen, auf Wiederhören sagen und dann wieder sagen »Endstation, hallo!«. O Mist. Ich habe vergessen, den Namen in dem Text zu ändern. Das haben wir jetzt davon. Bestimmt rufen alle nur an, um sich über den Namen zu beschweren. Wie furchtbar. »Caro,« krächzt Pitbull. »Ich hab ’ne Strichliste gemacht ab 10 Uhr. Und es haben bist jetzt exakt eintausendsiebenhundertdreiundzwanzig Leute angerufen, die Informationen wollten. Ja, gibt es denn so was?«
Ich bin fassungslos. »Was wollten die denn alle wissen?«, frage ich. »Ich drehe durch, wenn ich das jetzt alles noch mal erzählen muss. Kannst du nicht einfach herkommen, bitte. Die Lola ist auch schon ganz aggressiv, weil sie noch nichts zu fressen bekommen hat. Kannst du vom ›Tierreich Weber‹ bitte ein paar Mäuse mitbringen?«
Auch das noch. Gut. Es ist nun mal die Natur der Dinge, fressen und gefressen werden, aber dass ich jetzt noch lebende Mäuse kaufen muss, die sich freuen, aus ihrem engen Gefängnis herauszukommen, und auf ein besseres Dasein hoffen, um dann von einer Boa constrictor gefressen zu werden, das ist doch ein bisschen viel verlangt. Aber weil ich ja nicht nein sagen kann, sage ich ja und gehe nach Redaktionsschluss die Mäuse kaufen. Vier Stück würden erst mal reichen, sagt Pitbull.
Die Verkäuferin im Tierreich Weber schaut mich böse an, als ich weiße Mäuse verlange.
Ich will mich erst rechtfertigen, weiß aber nicht wie, deswegen lasse ich es. Die Mäuse werden in eine Pappschachtel gesteckt, die ich auf den Beifahrersitz stelle. An einer roten Ampel merke ich, dass sich eine Maus befreit haben muss, denn sie krabbelt gerade unter meine Bluse. Ich bin vor Entsetzen gelähmt und fange laut an zu schreien. Die Ampel wird grün, aber ich schreie einfach weiter und bin noch nicht mal in der Lage, die Maus einfach mit der Hand aus meiner Bluse zu holen. Hinter mir fangen die anderen Autofahrer an zu hupen. Ich kann nichts tun außer schreien, während die Maus fröhlich an mir hoch- und runterkrabbelt. Es gibt nichts Ekligeres, als Viecher unter dem Pullover zu haben. Das ist mir nur einmal mit einer Wespe passiert, die mich dann, als ich sie totschlagen wollte, natürlich gestochen hat. Seitdem habe ich eine Paranoia, was Tiere unter Kleidungsstücken betrifft. Zum Glück läuft die Maus wieder raus, aber erst, nachdem sie mir auf den Oberarm gepinkelt hat, und ich fange sie mit Todesverachtung ein. Die anderen Mäuse toben rasend in ihrem Pappkarton herum, und ich fahre über die zwischenzeitlich wieder rote Ampel mit der Maus in der Hand. Es ist ein bisschen schwierig zu schalten, aber das ist egal.
Pitbull erwartet mich schon sehnsüchtig. Die Lola sprengt nämlich schon fast das Terrarium. Sie ist sehr böse und möchte bestimmt lieber mich anstelle der Mäuse fressen. Der tolle Herr Dunkel würde jetzt sagen: »An Frau Schatz hätte eine Boa constrictor ihr
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