Fremd küssen. Roman
die ganze Zeit nur an. Endlich spricht er. »Seit wann geht es Ihnen denn so schlecht?«, fragt er mich in dem Tonfall, den ein Sportarzt einem Profifußballer gegenüber anwendet, wenn er ihm mitteilen muss, dass er aus Versehen leider beide Beine amputiert bekommen hat, obwohl eigentlich nur eine Muskelzerrung behandelt werden sollte.
»Seit heute Morgen«, antworte ich mürrisch. »Aber jetzt geht es mir schon wieder besser!«
»Aber, aber!«, ruft der Arzt euphorisch. » ABER NATÜRLICH geht es Ihnen jetzt schon wieder besser! Ich habe doch nur gefragt!«
Dann folgen so komische Fragen nach meinen Familienverhältnissen und ob ich schon mal an Selbstmord gedacht habe.
Bernd sagt: »Aber sie ist doch nur umgekippt!«
»Natürlich ist sie nur umgekippt! Und es geht ihr prima! Ich
frage
doch auch nur, meine Liebe!«
Ich bekomme Angst und stoße Bernd unter dem Tisch mit dem Fuß an. Aber Bernd sitzt nur da und starrt den Arzt an.
Die Tür geht auf und ein weiterer Halbgott in Weiß betritt den Raum. Er sieht den anderen Halbgott mit hochgezogenen Augenbrauen an und dieser nickt. Wie konnte ich »Dr.Stefan Frank« oder die »Schwarzwaldklinik« jemals gut finden?
Halbgott Nummer eins blättert in einer Akte, die er aus einer Schublade holt. Der andere stellt sich hinter ihn. »Hmhmhm«, machen beide. Gleich nehme ich diesen Brieföffner, der da liegt und steche zu, gleich. »Nun, meine Liebe … « Kunstpause. »Wir schlagen vor, dass Sie gleich mal hier bleiben, nur so ein paar Tage zur Kontrolle, und dann sehen wir weiter, nicht wahr.«
Mir reicht es. »Komm, Bernd, wir gehen«, sage ich böse und stehe auf. Bernd auch.
»Na, na, na, wer wird denn gleich so böse werden?«, ruft Halbgott 1 theatralisch. »Kommen Sie, setzen Sie sich, ich hole Ihnen ein Glas Wasser.«
In diesem Moment bemerke ich, dass die Tür von innen keine Klinke hat. Wir sind in einem Klapsmühlenbesprechungszimmer gelandet. Man hält uns oder besser gesagt mich für geisteskrank. Aber Moment mal. Ist man geisteskrank, wenn man einen Kreislaufkollaps hatte? »Hier muss eine Verwechslung vorliegen«, sage ich und bemühe mich, ruhig zu bleiben. Weil ich nämlich keine Lust habe, von zwei gepiercten Zivildienstleistenden in eine Zwangsjacke gesteckt und in eine Gummizelle gepfercht zu werden.
»Aber sicher liegt hier eine Verwechslung vor«, ruft Nummer 1 wieder eine Spur zu lieb und zu laut und drückt daraufhin einen Knopf. »Hören Sie«, sagt Bernd. »Frau Schatz ist lediglich in der Redaktion umgekippt. Jetzt geht es ihr schon wieder viel besser. Ich glaube wirklich, Sie verwechseln hier etwas. Könnte ich bitte telefonieren?«
»Nein, das geht jetzt leider nicht mehr«, sagt Nummer 2 und lächelt uns an. »Wir werden Ihrer Kollegin eine Spritze geben und dann wird sie erst mal gaaaaanz lange schlafen.« Er zwinkert mir zu, als sei ich eine Drogenabhängige, der er zum Abendessen eine Extraportion Heroin versprochen hat.
Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Was sollen wir denn jetzt nur machen?
»Gleich kommt ein Pfleger und dann bringen wir Sie erst mal auf Ihr Zimmer.«
Auf mein Zimmer? Bernd und ich starren uns verzweifelt an.
Vor der Tür ertönen plötzlich Schreie. Offenbar randaliert ein wirklich Geisteskranker (der, mit dem ich verwechselt wurde) herum, man hört Stühle fliegen und Leute »Nein, nicht!« oder »O Gott, so tut doch was!« brüllen. Im nächsten Moment fliegt die Tür auf und Pitbull steht im Raum. Dead or alive steht daneben und knurrt bedrohlich. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich froh, dass er so gefährlich aussieht.
»Raus hier, los!«, brüllt Pitbull. Die beiden Ärzte kommen auf uns zu, werden aber von Dead or alive daran gehindert, auch nur einen Schritt weiter zu gehen. Wie hat Pitbull es ihm nur beigebracht, dass er in den richtigen Situationen blutunterlaufene Augen hat?
Wir rennen wie verrückt (toller Wortwitz) aus dem Besprechungszimmer, von Dead eskortiert, der jeden Verfolger mit Schnappen nach rechts und links abwimmelt. Ich habe schreckliche Angst, dass irgendwelche Türen automatisch geschlossen werden, weil man irgendwelche Pförtner gewarnt hat, aber zum Glück passiert das nicht. Noch nie in meinem Leben war ich so froh, ein Krankenhaus verlassen zu haben. Wir springen panisch in Bernds Auto und rasen davon.
Zehn Minuten später sitzen wir in einem Café. Ich bin fix und fertig. Aber erst mal möchte ich wissen, woher Pitbull überhaupt wusste, wo wir waren.
»Du
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