Fremd küssen. Roman
von der Süddeutschen Klassenlotterie.
Sie haben, Sie haben … « Er hält sich an meinem Tisch fest. Gleich wird er kollabieren. Schnell schiebe ich ihm einen Stuhl hin. »Sie haben … «
»Ja was hat sie denn nun?«, fragt Gero hysterisch. »Eine Million Euro gewonnen?«
»Nein«, sagt Herr Würfel. »Frau Schatz, Sie haben zwei Millionen Euro gewonnen. Könnte ich bitte ein Glas Wasser bekommen?«
Mir wird schwarz vor Augen. Ich hatte dieses Jahreslos schon längst vergessen.
Niemand sagt ein Wort. Aber dann kommt Richard, legt mir die Hand auf die Schulter und sagt: »Zwei Millionen Euro. Dafür kannst du sehr viel im Baumarkt kaufen.«
Wir feiern die ganze Nacht. Pitbull und Pinki sind außer sich und alle freuen sich mit mir. Ich bin Millionärin. Jubiduuuu. Ich! Endlich habe ich auch mal Glück! Wir machen Listen, was ich alles mit dem Geld kaufen werde. Einen Porsche, ein Pferd, ein Haus, nur Klamotten von edlen Designern, und dann bereise ich zehnmal die ganze Welt. Überall rufe ich an und erzähle von meinem Glück. Dass es so was gibt! Pitbull, Pinki und Gero fahren eine Fuhre meiner Möbel in die Erichstraße, dann kommen sie mit Pizza (doppelt Salami, doppelt Käse, egal, egal, ich bin jetzt so reich, dass ich mir regelmäßig Fett absaugen lassen kann!) wieder und wir feiern weiter.
Gero kommt am nächsten Morgen mit mir zu dieser Lotteriezentrale. Ich werde mir das Geld erst mal auf ein Extrakonto überweisen lassen und dann später überlegen, wie viel ich anlege und so weiter. Ach, ist das Leben schön.
In der Zentrale müssen wir einen Moment warten, dann kommt eine Frau heraus und bittet uns in ein Zimmer, das mit entsetzlichen Möbeln aus den 70 er Jahren eingerichtet ist. Ein Schild klebt an der Wand, auf dem steht: »Ich bin hier auf der Arbeit und nicht auf der Flucht.« Auf dem Tisch ein trockener Farn (hallo, Chantal Döppler), in dem ein Schornsteinfeger auf einer kleinen Holzleiter sitzt, daneben ein Löffel, ein Joghurt und ein Päckchen gemischter Salat in Plastikfolie. Ein DIN -A 4 -Blatt warnt: »Ans Cholesterin denken!« Die arme Frau muss ein ungemein aufregendes Leben führen, wenn sie sich schon selbst vor Cholesterinmissbrauch warnen muss. Wollte ich nicht gestern auch noch so leben? Vorbei. Vergessen. Heut ist heut. Und ich bin reich. Und jetzt will ich mein Geld.
»Frau Schatz«, beginnt die Frau. »Ich muss Ihnen … «
»Jaja«, unterbreche ich, »Sie wollen mir gratulieren und mir sagen, wie sehr Sie sich mit mir freuen und dass ich jetzt nicht durchdrehen darf, sondern die ganze Sache nüchtern betrachten muss. Sonst geht es mir so wie dem einen Mann, der in einem Jahr vierzig Millionen verbraten hat und jetzt von der Sozialhilfe lebt.
ABER MACHEN SIE SICH KEINE SORGEN !!!« Ich schreie.
» ICH BIN DER GLÜCKLICHSTE MENSCH AUF DER GANZEN WELT !!!«
»Frau Schatz. Es tut mir so Leid. Aber der Lotteriegesellschaft ist ein Fehler unterlaufen. Beziehungsweise dem Computersystem. Ihr Name wurde fälschlicherweise ausgedruckt, und leider hat der zuständige Sachbearbeiter versäumt, noch einmal alles genau zu kontrollieren. Tatsache ist, hier, bitte, haben Sie es schwarz auf weiß, dass Sie leider nicht gewonnen haben.«
Sie schiebt mir einen Zettel hin und geht schnell drei Schritte zurück. Ihre Augen sind angstvoll aufgerissen.
»Bitte, es tut mir so Leid«, sagt Frau Lotterie, »aber nehmen Sie es nicht so schwer. Geld ist ja nicht alles.«
Warum kann ich nicht einfach einen Nervenzusammenbruch bekommen? Dann läge ich jetzt im Krankenhaus und alle würden sich um mich kümmern, ich könnte die Gala und die Bunte lesen und so tun, als wäre nichts passiert. Aber ich kann Frau Lotterie nur anstarren und nicht sprechen. Das ist selten bei mir. Aber in diesem Fall ist es angebracht.
Eine Stunde später sitzen Gero und ich auf dem Rand eines Sandkastens auf irgendeinem Kinderspielplatz und überlegen uns Gründe, warum es besser ist, kein Lottomillionär zu sein. »Alle hätten dich angebettelt und fremde Menschen hätten dir Briefe geschrieben, in denen steht, dass du ihre Schulden bezahlen sollst«, sagt Gero. »Stell dir das mal vor, wie nervig. Oder Leute, die du früher mal gekannt hast, wollen plötzlich wieder deine Freunde sein. Du bist doch sowieso so gutmütig, du hättest dich eh ausnutzen lassen und im Endeffekt hättest du das ganze Geld verschenkt.« Ja. Genau.
Pitbull und Pinki flippen aus, als wir ihnen die Geschichte erzählen.
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