Fremd küssen. Roman
käme man sich authentisch vor wie auf dem Flohmarkt.
Erst einmal baden. Und den ganzen Schmutz der vergangenen Nacht rauswaschen. Huah. Während das Badewasser einläuft, schaue ich mich im Spiegel an. Die Aktion hat ihre Spuren hinterlassen. Ich bin blass, habe Ringe unter den Augen und sehe aus wie gespuckt. Ich müsste dringend mal Solarium machen und überhaupt mal wieder das ganze Kosmetikprogramm, Maniküre, Pediküre, Gesicht und so weiter. Spontan beschließe ich, nach dem Baden in irgendeinem Kosmetikstudio anzurufen.
Es gibt nichts Schöneres, als in der Wanne zu liegen. Ich kann Menschen nicht verstehen, die sich nur zum Reinigen baden. Ich liebe es, bei ungefähr 80 °C mehrere Stunden im Wasser vor mich hin zu träumen oder Zeitschriften zu lesen. Dummerweise klingelt nur grundsätzlich das Telefon, wenn ich bade, und dummerweise habe ich es dann nie neben der Badewanne liegen. So wie jetzt. Bitte, bitte, wenn es wichtig ist, sprecht auf den Anrufbeantworter. Ich will jetzt nicht hier raus! Offenbar scheint es wichtig zu sein, denn man hört tatsächlich eine Stimme. »Ich bin’s, der Gregor!«, höre ich jemanden quaken.
»Du weißt schon, der von heute Nacht! Na ja. Ich wollte mich mal melden. Du hast ja gesagt, dass wir das Wochenende zusammen verbringen könnten. Na ja. Jetzt bist du nicht da. Na ja. Oder schläfst du? Na ja. Vielleicht komm ich jetzt einfach mal vorbei. Hast mir deine Adresse ja gegeben. Na ja. War echt geil mit dir. Höhöhö. Na ja. Also, bis denne, tschau!«
Ich schieße aus der Wanne wie ein ausgehungerter Koala, der mit letzter Kraft nach einem Eukalyptusblättchen schnappt. Der Robert Redford für Arme! Wie entsetzlich! Womöglich steht er schon vor der Tür und wartet nur darauf, dass ich sie öffne, um wieder in den Flur zurückgestoßen und im Anschluss daran durchgepoppt zu werden. Was habe ich dem bloß alles von mir erzählt? Hilf Himmel. Nie wieder Alkohol! Bitte, bitte, lieber Gott, lass ihn nicht mit dem Handy im Hauseingang stehen. Nass und nackt schleiche ich mich zu meiner Wohnungstür. Leider habe ich keinen Spion. Ich lausche. Frau Ronneburger von nebenan knallt gerade die Tür zu und geht zum Einkaufen. Ich erkenne sie an ihren herrischen Schritten. Stille. Stille. Leise flüstere ich »Hallo … «
»Hallo!«, flüstert es zurück. Meine Gänsehaut ist sehenswert! Hat jemand Lust auf kross gebratene mittelalte Gans? Bitte. Bitte. Nehmen Sie mich! Er steht vor der Tür. Was mache ich bloß? Das Wasser tropft auf meinen schönen Dielenboden. Ich fange an zu frieren. »Hallo! Mach doch auf. Ich bin’s«, flüstert es. Der spinnt ja wohl völlig. Eine Frechheit, hier einfach aufzutauchen. Wie hat meine Oma immer gesagt? Gib ihm Saures! Irgendwo muss ich doch noch Tränengas haben. Ich schleiche auf Zehenspitzen zu meiner Handtasche. Jepp. Da ist es. Ich reiße die Tür auf, schreie: »Du blödes Arschloch, verpiss dich!«, und sprühe ihm mitten ins Gesicht.
Der Robert Redford für Arme taumelt nach vorne und krallt sich in meinen Haaren fest. Dabei schreit er wie ein Irrer: »Au, aua, meine Au-gen, o Gooott!!!«
Ich versuche, ihn wegzuschubsen, um noch einmal sprühen zu können, aber da er viel schwerer ist als ich, reißt er mich mit sich nach hinten und wir knallen beide auf den Boden des Treppenhauses. Meine Wohnungstür schlägt zu. Ich kämpfe verzweifelt und kratze und beiße und trete. »Hör auf!«, brüllt Redford. »Hör auf! Ich bin’s doch nur!«
Ich schaue genauer hin und sehe, dass der Mensch, mit dem ich mich im Hausflur herumwälze, genauso nackt ist wie ich. Und es ist gar nicht mein One-Night-Stand, sondern Henning. »Was machst du denn hier?«, frage ich verwirrt.
Henning sieht entsetzlich aus. Sein Gesicht, insbesondere die Augenpartie, ist vom Tränengas gezeichnet. Dick verquollen und rot. Seine rechte Wange ist von meinen Fingernägeln aufgekratzt und am Arm blutet er. Aber das Allerschlimmste ist, dass wir nicht zurück in meine Wohnung können. Wenn jetzt jemand kommt, wenn jetzt jemand kommt und mich und Henning nackt im Flur sieht. Wie furchtbar. Wie unmöglich. Henning heult. Ich weiß nicht, ob das am Tränengas oder an der Situation liegt, die er mir hoffentlich gleich erklären wird. Unten geht die Haustür auf. Eine Katastrophe. »Schnell, schnell. Weg hier«, flüstere ich und zerre Henning die Treppen rauf. Bitte, lieber Gott, lass Richard zu Hause sein. Ich hämmere wie bekloppt an seine Tür. Nichts. Frau
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