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Fremd küssen. Roman

Fremd küssen. Roman

Titel: Fremd küssen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi von Wolff
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geöffnete Sektflasche ergießt sich über alle zusammen. Ich stehe da wie mit einer Gesichtslähmung. Und Hunger habe ich immer noch.

4

    Ich wache auf, weil es bummert. Verwirrt setze ich mich auf, um mit einem Aufschrei wieder in die Waagerechte zu knallen. Seit wann habe ich eine schräge Wand über meinem Bett? Die Augen noch mal aufmachen, aber langsam bitte! Es bummert weiter. Kein Wunder. Ohrenbetäubende Musik dröhnt durch das Zimmer, in dem ich mich befinde. Wo bin ich? Langsam gewöhnen sich meine Augen an das Dämmerlicht und ich steige aus dem Bett. Neben mir ekelhaftes Schnarchen. Wer ist das? Richard? Gero? Henning? Vor Entsetzen gelähmt, taste ich mich zum Fenster vor. Vorsichtig ziehe ich das Rollo hoch. Ich erkenne den Menschen im Bett. Es ist der Robert Redford für Arme. O Gott. Ich kann mich an nichts erinnern. An rein gar nichts. Nur noch daran, dass ich, nachdem ich dem Typ eine geknallt habe, von zwei besorgten Lesben einen Caipirinha nach dem anderen eingeflößt bekommen habe. Vage erscheint es mir, als ob der Typ dann irgendwann mit einem Handtuch um den Mund wieder vor mir gestanden hat. Offensichtlich hat ihm mein Verhalten imponiert, wer sonst würde sich erst die Zähne einschlagen lassen und dann jemanden zum Poppen auffordern? Höchstens ein Masochist. Aber vielleicht ist er ja einer. Ich scheine auf jeden Fall einer zu sein. Was konnte ich nur an diesem Menschen jemals gefunden haben? Seine Backe ist von meinem Schlag immer noch völlig geschwollen, seine Haare lichten sich und er ist kein bisschen behaart. Ich hasse unbehaarte Männer. Männer sind nur richtige Männer, wenn sie wenigstens ein bisschen einem Gorilla ähneln. Dazu gehören auch breite Schultern. Und von der Figur her bitte lieber ein bisschen zu dick als zu dünn. Wenn es etwas Schlimmes gibt, dann sind es Männer mit
dünnen Beinen
. Womöglich noch mit Waden, die man für Mittelfinger halten könnte. Mein Blick schweift durch das Schlafzimmer. Hellgrüne Tapete mit dunkelbraunen Kringeln und orangen Tupfen in der Mitte. Ein ovales Bett mit einem Digitalradio an der Kopfstütze in der Mitte, auf dem die Ziffern nur noch zu einem Drittel korrekt leuchten. Zwei Porzellan-Tigerköpfe sollen die Nachttischlampen darstellen, aus den hungrig geöffneten Mäulern ragt je eine Glühbirne. Die Zähne fehlen.
    An den Wänden drei Poster schief in randlose Rahmen gepfercht. Auf Poster eins ein muskulöser Mittzwanziger, der mit freiem Oberkörper lässig an einer Harley-Davidson lehnt – die er, der Ölschmiere auf Brust und Armen nach zu urteilen, gerade am Reparieren ist –, ein nacktes Neugeborenes zärtlich in seinen Armen wiegend. Auf Poster zwei die Fratze eines Harlekins, der aus einem Auge auf eine zerbombte Landschaft weint. Auf Poster drei ungefähr vierzehn Bauarbeiter, die ungesichert auf einer siebenhundert Meter hohen Metallstange in Latzhosen frühstücken. Dieses Bild kenne ich, und ich frage mich immer wieder, was aus diesen Männern geworden ist. Sind sie, kurz nachdem der Auslöser der Kamera gedrückt wurde, aus Gleichgewichtsmangel in die Tiefe gestürzt oder vielleicht Tage später auf der gleichen Metallstange vom Blitz getroffen worden? Ich habe sogar mal in einem Geschäft, in dem dieses Poster zu kaufen war, deswegen nachgefragt, erntete aber nur ein verständnisloses Kopfschütteln.
    Ich sehe mich weiter um. Ein Gobelin-Stickbild, farblich passend zur Tapete, auf dem sich die Vorderhufe zweier brauner Pferde in der Silhouette eines knallorangen Sonnenunterganges hoffnungslos ineinander verkeilen. Direkt daneben ein vergilbter Bravo-Starschnitt, auf dem John Travolta in »Stayin’ alive«-Pose breitbeinig dasteht, die Hand senkrecht nach oben haltend. Die Hälfte von Olivia Newton-John klebt daneben.
    Habe ich die Kraft für noch mehr? Ich versuche es. An der Wand eine schwarze Schrank-Vitrinen-Kombination mit Spiegelapplikationen, oben dreieckig zulaufend, mit integrierter Beleuchtung, die zu allem Unglück auch noch angeschaltet ist. Ich erblicke ein beige-braun gepunktetes Teeservice mit Stövchen, daneben vier Sektgläser mit dem Aufdruck »Welcome«. Weiter unten fristet gebeugt ein Wurzelsepp sein Dasein, der in seinen gebeutelten Händen einen verstaubten Bergkristall hält. Rechts daneben ein Nussknacker, der den Wurzelsepp verständnislos mit geöffnetem Mund und rotem Filzhut anstarrt. Plötzlich merke ich, wie mein Magen rebelliert. Sollte ich tatsächlich in diesem Horrorkabinett die

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