Fremd küssen. Roman
Nacht verbracht haben? Ein Blick auf meine Armbanduhr sagt mir, dass es 6 Uhr 30 ist. Und Robert Redford schläft noch immer. Ich muss machen, dass ich hier rauskomme.
Endlich stehe ich auf der Straße. Warum nur passieren immer mir so furchtbare Dinge? Was habe ich nur an diesem Kerl gefunden? Er ist doch gar nicht mein Typ! Es handelt sich bei ihm um einen Menschen, über den ich mit meinen Kolleginnen stundenlang lästern würde. Ich würde ihm noch nicht mal nach dem Einkaufen meinen leeren Einkaufswagen gegen ein Eurostück überlassen. Lieber würde ich vier Kilometer zu dem blöden Wagenpark bergauf mit hundert Kilo Gepäck laufen. Bei glühender Hitze mit einem zwei Nummern zu kleinen Polyacrylpullover mit Rollkragen. Nur Henning ist an allem schuld. Wie immer, denke ich, als ich morgens um Viertel vor sieben die menschenleere Straße entlanglaufe. Außerdem weiß ich nicht, wo ich mich hier befinde. Ich kenne diesen Stadtteil nicht. Ich möchte mir ein Taxi rufen. Sofort. Ausnahmsweise habe ich mein Handy dabei. Und der Akku ist noch voll. Ich scheine ja ein Glückskind zu sein heute!
Ich bin so froh, endlich zu Hause zu sein. Noch nie hatte ich das Gefühl, dass es in meiner Wohnung SO gemütlich ist. Manchmal kriege ich einen Raster und denke, dass ich all den überflüssigen Krimskrams wegschmeißen sollte und meine Wohnung so einrichten sollte, dass sie »trendy« wirkt. So wie in »Living at Home« oder »Schöner Wohnen« oder sonst wie.
Klare Linie, kein Schnickschnack und zwei, drei erlesene Bilder. Einen Renoir. Weniger ist mehr. Susanne und Michael sind so eingerichtet. Alles Eierschale und ein Hauch Mint. Im Wohnzimmer hat man das Gefühl, »hallo« schreien zu können und es antwortet ein Echo, so spartanisch ist das möbliert. Als ich mich das erste Mal auf das neue Sofa setzte, wurde diese Missetat mit einem entsetzten Aufschrei von Susanne quittiert. »Nicht! Bist du verrückt! Erst den Staub vom Hintern wegmachen!« Woraufhin sie mit einer Flusenrolle angerannt kam und mir Rücken und Hinterteil abfluste, um mir das Ding dann besserwisserisch unter die Nase zu halten: »Siehst du das?« Drei Fasern meines Blazers klebten an der Rolle. »Das setzt sich im Sofa fest und verändert mit der Zeit die Farbe vom Bezug!« Ich bin dann lieber gleich stehen geblieben, hatte aber auch dabei ein schlechtes Gewissen, weil sich meine Schuhe dann ja dauerhaft in den Teppichläufer bohrten, was mit der Zeit bestimmt konstante Spuren hinterlässt. Also bin ich dann immer hin und her gelaufen.
Susanne hat es immer »mit der Zeit«. Mit der Zeit werden Fensterscheiben milchig, egal, wie oft man sie putzt, mit der Zeit setzt sich ein Fettfilm an den Küchenschränken fest, egal, wie oft man die dampfstrahlt, mit der Zeit kann man das Waschbecken vergessen und auch die Armaturen, wegen dem Kalk, wegen dem Kalk. Sie hat halt einen unverbesserlichen Putzfimmel. Susanne steht auch nachts auf, wenn sie hört, dass Michael auf dem Klo war, um dasselbe zu putzen, weil mit der Zeit der Urinstein sonst vollends Besitz nimmt von der Schüssel.
Meine Wohnung ist ganz anders. Meine Wohnung ist voll gestopft bis oben hin mit antiken und halb antiken und nicht antiken Möbeln, Teppichen und Bilderrahmen. Meine Töpfe und Pfannen hängen in der Küche lose an Haken, weil das einen Touch von Landhausstil hat, ich habe Gewürze in Terrakottakästen angepflanzt und überall irgendwelche Sachen rumstehen, die ich von irgendwelchen Pressereisen und Urlauben mitgebracht habe. Ich liebe den alten Küchenschrank aus Weichholz von meiner Oma, auch wenn er ein Staubfänger ist, und ich finde es herrlich, sieben Tischdecken übereinander auf meinem alten Esstisch liegen zu haben. Und ich liebe meine Schneekugeln, meine Spieluhren und die alten Familienfotos in den Silberrahmen, die ich nie putze. Dann sähen sie nicht mehr so antik aus. Meine Lieblingswerbung ist die von der Landliebe, in der eine Frau in einer Landhausküche Brot backt, der Mehlstaub fliegt durch die ganze Küche, aber trotzdem wird nichts schmutzig, und die Frau lächelt und blickt durch ein blank geputztes Sprossenfenster und sieht ihren Kindern im Garten zu, die mit roten Backen einen putzigen Golden Retriever jagen oder auf einer efeuumrankten Schaukel hin und her gondeln. Hach, wie schön! Genauso will ich’s haben.
Susanne fühlt sich nicht wohl bei mir. Sie behauptet, wenn man an alle Einrichtungsgegenstände von mir noch Preisschildchen kleben würde,
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