Fremd küssen. Roman
heute nichts frühstücken. Schließlich wiege ich dreiundsechzig Kilo. Innerhalb von fünf Tagen möchte ich mindestens fünf Kilo abnehmen. Bei einer Kalorienzufuhr von weniger als 800 pro Tag müsste das hinhauen. Und Sport treibe ich auch. Sofort werde ich in die Redaktion LAUFEN , auch wenn das zehn Kilometer sind.
Leider komme ich auf dem Weg an drei Bäckereien vorbei. Der Geruch von frischen Laugenbrezeln und Plunderstückchen mit Pudding macht mich schier wahnsinnig. Also – ein Stückchen und eine trockene Brezel, das sind 400 Kalorien, wenn ich nicht alles esse. Und wenn ich alles esse, sind es ungefähr 800 Kalorien. Ob die Bäckereifachverkäuferin mir wohl das Stückchen und die Brezeln durchschneidet und nur die Hälfte verkauft? Das machen die mit Brot doch auch immer. Sie meint, das würde nicht gehen, nur samstags kurz vor Schluss. Und dann auch nur in Ausnahmefällen. Und ich wäre auch die Erste, die so was fragen würde (jaja, im Alter wird man merkwürdig).
Na gut, dann esse ich das ganz und heute ansonsten gar nichts mehr.
Danach habe ich immer noch Hunger. Einfach nicht dran denken, nicht dran denken. Der Hunger vergeht bestimmt (nur wann, wann, wann???).
In der Redaktion behandeln mich alle wie ein rohes Ei. Ob es mir denn besser ginge? Ob ich mich mal richtig ausgeschlafen hätte? Ob ich kurz mal zum Programmdirektor kommen könnte, er hätte gern gewusst, wie es jemand innerhalb von zwei Stunden fertig bringt, einen Sender derart in Misskredit zu bringen, dass verwirrte Hörer anrufen und fragen, was denn los sei? Mal ganz abgesehen von den Kosten, die ich durch die Feuerwehreinsätze verursacht habe. Von der eingetretenen Klotür wollen wir gar nicht sprechen. Ich glaube, ich gehe wieder.
Pitbull will mich gegen 15 Uhr abholen. Ich behaupte, dass ich einen Arzttermin hätte und früher gehen müsste. Verzweifelt versuche ich, Pitbull auf dem Handy zu erreichen, aber das Einzige, was ich höre, ist seine tiefe Stimme auf der Mailbox, die »die Flachwichser, die versuchen, mich zu sprechen«, auffordert, »die Schnauze zu halten«. Infolgedessen traue ich mich nicht, ihm eine Nachricht zu hinterlassen. Ich sterbe, wenn er in der Redaktion auftaucht.
Ich versuche, das Haus gegen halb drei zu verlassen, aber dreitausend Anrufe halten mich auf. Während ich mit Frau Lehdorf von der Firma »Hello Sponsor« telefoniere, bemerke ich einen Tumult im Foyer. Menschen springen aufs Sofa und auf Tische und schreien. Was ist denn hier los? Ist irgendeine Heavy-Metal-Band als Studiogast eingeladen worden, die Kettensägen dabeihat?
Es ist bereits alles zu spät, als ich bemerke, dass Dead or alive im Foyer herumspringt und »Fass den Feind« spielt. Pitbull steht in der Tür. In der Hand hält er eine Dose und ruft lautstark meinen Namen. Meine Oma würde jetzt sagen: »Lass diesen Kelch an mir vorübergehen … « Cara kommt auf mich zu. Ihr Gesicht ist von roten Panikflecken übersät. »Da ist … da ist … da ist jemand, der dich angeblich ABHOLEN will. Ich habe gefragt, wer er sei, und er meinte: ›Huuuuuuuääääääh, schweig stille und lass mich nicht wieder töten!‹ Ich habe Angst!« Sie stürmt in ihr Büro und verbarrikadiert die Tür mit einem Rollcontainer.
Was mach ich jetzt, was mach ich jetzt? Er muss den Hauptpförtner mit einer Schusswaffe bedroht haben, um ins Funkhaus reingelassen worden zu sein. Cool bleiben, cool bleiben, cool bleiben!
Ich schlendere gemütlich Richtung Foyer. »Hallo«, sage ich zu Pitbull. »Können wir gehen?« Ich zerre ihn hinter mir her Richtung Treppenhaus. Im Gehen rufe ich noch: »Das ist mein Frauenarzt. Er pflegt die persönlichen Kontakte zu seinen Patientinnen!« Dead or alive hebt derweil das Beinchen und pinkelt gegen Zladkos Bein, bevor er uns hechelnd folgt.
Der Hauptpförtner kriecht unter seinen Tisch, als wir an ihm vorbei Richtung Ausgang gehen. Ich sagte ja, Schusswaffe.
Draußen angekommen, atme ich erst mal tief durch, bevor ich loslege: »Sag mal, spinnst du oder was? Wie kommst du dazu … «, und so weiter und so fort.
Aber Pitbull grinst mich nur an und meint: »Solltest gleich sehen, worauf du dich einlässt. Entweder du stehst dazu, mich zu kennen, oder nicht. Also wirklich, Frauenarzt. Hammerhart. Obwohl – haha! ›Wenn Sie mal bitte die Beine spreizen würden. Ja, so ist’s recht.‹ Ich muss dir mal ein T-Shirt von mir zeigen. Auf dem steht: ›Zieh dich aus. Leg dich hin. Ich muss mit dir reden.‹«
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