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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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sich zu melden. Wer auch immer gestern gegen eins oder halb zwei in hohem Tempo an Raymonds Haus vorbeigefahren ist. Möglicherweise mit einem Skibehälter auf dem Dach. Und wir werden auch nach dem Motorrad suchen. Wenn niemand sich meldet, werde ich die Kinder auf das Auto ansetzen.«
    »Wie willst du das denn machen?«
    »Weiß ich noch nicht. Vielleicht können sie zeichnen. Kinder zeichnen doch immer.«
    Raymond brachte seinem Vater das Essen. Er schlich, aber die Bodenbretter knackten, und die Untertasse klirrte auf der Marmorplatte des Nachttischs. Der Vater öffnete ein Auge.
    »Was wollten die denn?« fragte er.

SIE ASSEN IN DER KANTINE des Gerichtsgebäudes.
    »Das Omelett ist zu trocken«, sagte Skarre unzufrieden. »Das war zu lange in der Pfanne.«
    »Ach?«
    »Eier stocken nämlich noch weiter, wenn sie schon längst auf dem Teller liegen. Man muß sie aus der Pfanne nehmen, wenn sie noch flüssig sind.«
    Sejer konnte nichts dagegen sagen, er hatte keine Ahnung vom Kochen.
    »Und sie haben Milch dazugegeben. Das ruiniert die Farbe.«
    »Hast du die Kochschule besucht?«
    »Nein, nur einen Kurs gemacht.«
    »Meine Güte, was man alles nicht weiß!«
    Sejer betupfte seinen Teller mit einem Stück Weißbrot und erwischte die allerletzten Omelettreste. Dann wischte er sich den Mund gründlich mit der Serviette ab.
    »Wir fangen im Krystall an. Jeder nimmt eine Straßenkarte, das macht zehn Häuser für jeden. Wir warten bis nach fünf, dann sind die Leute von der Arbeit zurück.«
    »Wonach soll ich Ausschau halten?« fragte Skarre und sah auf die Uhr. Nach zwei war hier das Rauchen erlaubt.
    »Nach Unregelmäßigkeiten. Nach allem. Frag auch, wie Annie früher war, ob sie sich verändert hat. Setz deinen ganzen Charme ein, damit sie sich öffnen. Kurz gesagt: Mach dir ein Bild von ihnen.«
    »Wir sollten auch mit Eddie Holland allein sprechen.«
    »Das habe ich mir auch schon überlegt. Ich werde ihn in ein paar Tagen herbestellen. Aber vergiß nicht, daß seine Frau unter Schock steht. Sie wird sich sicher noch beruhigen.«
»Was Annie angeht, haben sie ziemlich unterschiedl
Er lehnte sich müde gegen den Spülstein und sah si
»Andere Mädchen kenne ich nicht.«
»Es war nicht S0lvi.«
    »Was Annie angeht, haben sie ziemlich unterschiedliche Beobachtungen gemacht, findest du nicht?«
    »So ist es eben, nehme ich an. Hast du Kinder, Skarre?«
    »Nein.«
    Skarre zündete sich seine Zigarette an und blies den Rauch rechts an seinem Chef vorbei.
    »Ihre Schwester müßte jetzt doch aus Trondheim zurück sein. Mit der müssen wir auch sprechen.«
    Nach dem Essen schauten sie bei der Technik vorbei, erhielten aber keine hilfreichen Auskünfte über die Windjacke, mit der die Leiche zugedeckt gewesen war.
    »Import aus China. Wird in allen Billigketten verkauft. Der Importeur meint, sie hätten an die zweitausend davon gehabt. In der rechten Tasche eine Tüte Malzbonbons, einen Reflektor und ein paar helle Haare, möglicherweise von einem Hund. Und frag mich nicht nach der Rasse. Das ist alles.«
    »Größe?«
    »XL. Die Ärmel waren offenbar zu lang, sie waren hochgekrempelt.«
    »Früher hatten die Leute Namensschildchen in ihren Jacken«, erinnerte sich Sejer.
    »Ja, sicher, irgendwann im Mittelalter.«
    »Und was ist mit der Pille?«
    »Auch nicht weiter spannend, fürchte ich. Es ist ganz einfach eine Mentholpastille, wie sie im Moment alle Welt frißt. Winzig klein und umwerfend stark.«
    Sejer war ehrlich enttäuscht. Eine Mentholpastille sagte einfach nichts aus. So was hatten doch alle in der Tasche, er selber trug immer eine Packung Fisherman’s Friend bei sich.
    Sie fuhren zurück. Jetzt war im Krystall mehr los, es wimmelte von Kindern mit allerlei Fahrzeugen, Dreirädern, Traktoren, Puppenwagen und einem selbstgemachten Seifenkistenmodell, dessen Schwanz im Wind wehte. Als der Streifenwagen vor den Briefkästen hielt, erstarrte das bunte Verkehrsbild zu Eis. Skarre konnte der Versuchung nicht widerstehen, bei zwei Fahrzeugen die Bremsen zu überprüfen, und er war sich ziemlich sicher, daß der Besitzer eines blau-rosa Massey Ferguson sich vor lauter Schreck in die Hose machte, als ihm mitgeteilt wurde, daß sein Rücklicht defekt war.
    Die meisten wußten, daß etwas passiert war, aber nicht, was. Niemand hatte sich getraut, bei Hollands zu schellen und zu fragen.
    Sejer und Skarre sagten in einem Haus nach dem anderen ihren Spruch auf, jeder für sich, jeder auf seiner Straßenseite.
    Immer

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