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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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eine Pause ein, um Kaffee zu kochen und ihr ein Brot oder eine Waffel, falls vorhanden, mit Butter zu bestreichen. Anstandshalber sah er dann eine Weile mit ihr fern, um ihr Gesellschaft zu leisten. Aber so bald wie möglich schlich er sich wieder davon. Die Großmutter sagte nichts. Er saß bis Mitternacht vor dem Computer, dann schleppte er sich ins Bett und löschte das Licht.
    Er horchte immer ein wenig ins Leere hinein, bis der Schlaf kam. Oft kam der Schlaf nicht, und dann schlich er sich ins Zimmer der Großmutter und stahl sich ein Valium aus ihrem Glas. Er hörte draußen keine Schritte mehr. Während er aufs Einschlafen wartete, dachte er an Annie. Ihre Lieblingsfarbe war Blau gewesen. Ihre Lieblingsschokolade Trauben-Nuß. Er versuchte, sich Wörter zu merken und zum späteren Gebrauch zu speichern. Er durfte einfach nicht aufgeben. Wenn er den Code endlich gefunden hätte, würde er staunen: Natürlich hatte sie diesen und keinen anderen genommen! Und er würde sich sagen: Das hätte ich mir ja denken können.
    Draußen lag schwarz und still der Hof. Der Eingang der leeren Hundehütte klaffte wie ein zahnloser Rachen, von der Straße her war er jedoch nicht zu sehen, und ein Dieb mochte glauben, daß dort ein Hund lag. Hinter der Hundehütte stand der Schuppen mit einem bescheidenen Holzvorrat, Halvors Fahrrad, einem Schwarzweißfernseher und vielen alten Zeitungen. Er konnte sich nie die Termine der Altpapiersammlung merken, und die Lokalzeitung las er auch nicht. Und ganz hinten, hinter einer Schaumgummimatratze, stand Annies Schultasche.

ER WAR ZUM BRUVANN und zurück gelaufen. Eine Tour von dreizehn Kilometern. Er versuchte, die Schmerzgrenze nicht zu überschreiten, er mußte schließlich an den Rückweg denken. Elise hatte ihm immer ein eiskaltes Mineralwasser eingeschenkt und es ihm gereicht, wenn er aus der Dusche kam. Oft hatte er sich dabei nur ein Handtuch um die Taille gewickelt. Jetzt wartete niemand auf ihn. Abgesehen von seinem Hund, der erwartungsvoll den Kopf hob, als er die Badezimmertür öffnete und den Dampf herausquellen ließ. Er zog sich noch im Badezimmer an, suchte sich selbst eine Flasche, öffnete sie an der Küchentischkante und hob sie an den Mund. Mitten in der Bewegung ging die Türklingel. Bei Sejer wurde nicht oft geschellt, deshalb war er überrascht. Er hob für den Hund einen mahnenden Finger und ging zur Tür. Draußen stand Skarre, am Treppengeländer, mit einem Fuß noch auf der Treppe, wie um die Möglichkeit eines raschen Rückzugs anzudeuten, wenn sein Besuch ungelegen kam.
    »Ich war gerade in der Nähe«, teilte er mit.
    Er sah verändert aus. Seine Locken waren verschwunden, er war fast bis auf die Kopfhaut geschoren. Seine Haare wirkten dunkler, und er sah älter aus. Und nun sah man, daß seine Ohren etwas abstanden.
    »Fesche Frisur«, sagt Sejer und nickte. »Komm rein.«
    Kollberg sprang auf und benahm sich wie immer.
    »Er übertreibt ein wenig«, sagte Sejer resigniert. »Aber er ist wirklich ein gutmütiger Bursche.«
    »Das ist auch besser so, bei der Größe. Der sieht ja aus wie ein Wolf, Mann!«
    »Eigentlich soll er wie ein Löwe aussehen. Das hatte jedenfalls der Züchter vor, der den ersten Leonberger produziert hat.« Sejer ging ins Wohnzimmer. »Er kam aus der Stadt Leonberg in Deutschland und wollte eine Art Stadtmaskottchen züchten.«
    »Einen Löwen?« Skarre musterte das große Tier und lächelte. »Nein, so weit reicht mein guter Wille nicht.« Er streifte seine Jacke ab und legte sie auf den Telefontisch. »Konntest du heute mit Holland allein sprechen?« »Ja, das schon. Und was hast du gemacht?«
    »Halvors Großmutter besucht.«
    »Ach was?«
    »Sie hat mir Kaffee, Waffeln und das ganze Elend der alten Leute aufgetischt. Jetzt«, sagte er leise, »weiß ich, wie es ist, alt zu werden.«
    »Und wie ist das?«
    »Ein schrittweiser Verfall. Ein schleichender, fast unmerklicher Prozeß, den du nur in plötzlichen, erschütternden Augenblicken wahrnimmst.« Skarre seufzte wie ein Greis und schüttelte besorgt den Kopf. »Der Zellteilungsprozeß nimmt ab, darum geht es dabei. Es geht immer langsamer, bis die Zellen sich schließlich fast überhaupt nicht mehr erneuern und alles schrumpft. Das ist übrigens das erste Stadium im Verwesungsprozeß, es setzt ein, wenn wir um die fünfundzwanzig sind.«
    »Du meine Güte! Dann ist es bei dir ja schon soweit. Du siehst auch ein bißchen mitgenommen aus, finde ich.«
    »Das Blut stockt in den

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