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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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gekommen, Eddie?«
    »Ich glaube, irgendwann im November. Ich weiß es nicht mehr genau.«
    »Aber war das, ehe sie aus dem Verein ausgetreten ist oder nachher?«
    »Das weiß ich nicht mehr.«
    »Dann machen wir weiter, bis es Ihnen wieder einfällt. Was war das für ein Unfall?«
    »Ihm ist etwas im Hals steckengeblieben, und sie konnten es nicht mehr herausholen. Er war offenbar allein in der Küche, als das passiert ist.«
    »Warum erzählen Sie mir das erst jetzt?«
    Holland musterte ihn unglücklich.
    »Aber Sie sollen doch Annies Tod aufklären«, flüsterte er.
    »Das versuche ich ja gerade. Es ist wichtig, Dinge ausklammern zu können.«
    Eine lange Pause folgte. Hollands hohe Stirn schwitzte, und immer wieder rieb er sich die Finger, so als habe er plötzlich jegliches Gefühl darin verloren. Viele idiotische Bilder tauchten vor seinem inneren Auge auf, Bilder von Annie in rotem Overall und Abiturientenmütze, Annie im Brautkleid, Annie mit einem Säugling auf dem Schoß. Bilder, die er niemals mehr würde aufnehmen können.
    »Erzählen Sie mir von Annie, von ihrer Reaktion.«
    Holland setzte sich gerade und überlegte. »Ich kann mich an das Datum nicht erinnern, wohl aber an den Tag, wir hatten nämlich verschlafen. Ich hatte frei. Annie kam zu spät zum Bus und kam dann früher aus der Schule nach Hause, weil sie sich nicht wohl fühlte. Ich brachte es nicht übers Herz, ihr die Sache sofort zu erzählen. Sie legte sich hin, wollte ein bißchen schlafen.«
    »War sie krank?«
    »Nein, sie war nie krank. Es war sicher nur ein vorübergehendes Unwohlsein. Sie schlief dann eine Weile, und ich saß nebenan im Wohnzimmer und grauste mich. Schließlich ging ich zu ihr und setzte mich auf ihre Bettkante.«
    »Weiter.«
    »Sie war wie gelähmt«, sagte Holland nachdenklich. »Wie gelähmt und verängstigt. Drehte sich nur um und zog sich die Decke über den Kopf. Ich meine, was soll man sagen? An den folgenden Tagen hat sie ihre Gefühle kaum gezeigt, sie schien in aller Stille zu trauern. Ada wollte sie mit Blumen zu den Eltern schicken, aber Annie wollte nicht. Sie wollte auch nicht auf die Beerdigung gehen.«
    »Aber Sie und Ihre Frau waren dort?«
    »Ja, sicher. Ada war es unangenehm, daß Annie nicht wollte, und ich versuchte, ihr zu erklären, daß eine Beerdigung für ein Kind sehr hart sein kann. Annie war doch erst vierzehn. Sie wissen dann ja auch nicht, was sie sagen sollen, nicht wahr?«
    »Mhm«, murmelte Sejer. »Aber vielleicht hat sie das Grab dann später besucht?«
    »Ja, sicher, mehrmals sogar. Aber sie ist nie wieder in das Haus gegangen.«
    »Aber sie muß doch mit ihnen gesprochen haben? Wenn sie häufiger auf den Kleinen aufgepaßt hatte?«
    »Das hat sie sicher. Sie hatte ja viel mit ihnen zu tun gehabt. Vor allem mit der Mutter. Die wohnt übrigens nicht mehr dort, sie haben sich eine Weile später getrennt. Es ist natürlich schwierig, nach so einer Tragödie wieder zueinanderzufinden. Man muß gewissermaßen von vorn anfangen. Und wir werden alle nicht mehr so, wie wir waren.« Er verlor den Faden und redete mit sich selbst, als wäre Sejer nicht mehr im Raum. »Nur S0lvi ist wie immer. Es wundert mich wirklich, daß sie nach allem immer noch dieselbe ist. Aber sie ist ja auch etwas ganz Besonderes. Wir müssen eben die Kinder nehmen, die wir bekommen, nicht wahr?«
    »Und - Annie?« fragte Sejer vorsichtig.
    »Ja, Annie«, murmelte Holland. »Annie wurde nie wieder dieselbe. Ich glaube, ihr ist damals klargeworden, daß wir alle sterben müssen. Ich weiß noch, wie ich selber klein war und meine Mutter starb - dieses Wissen war fast das Schlimmste. Nicht, daß sie tot und verschwunden war, sondern daß auch ich würde sterben müssen. Und mein Vater, und alle, die ich kannte.«
    Seine Augen starrten ins Leere. Sejer hörte zu, seine Hände ruhten auf dem Schreibtisch.
    »Wir sind noch nicht fertig, Eddie«, sagte er schließlich. »Aber Sie müssen noch etwas erfahren.«
    »Ich weiß nicht, ob ich es ertragen kann, noch mehr zu erfahren.«
    »Ich kann es Ihnen nicht verheimlichen. Das erlaubt mir mein Gewissen nicht.«
    »Was ist denn los?«
    »Können Sie sich erinnern, ob Annie je über Schmerzen geklagt hat?«
    »Nein, eigentlich nicht. Abgesehen von damals, als sie stoßdämpfende Laufschuhe brauchte. Ihr taten vom Laufen nämlich die Füße weh.«
    »Ich denke an Schmerzen im Unterleib.«
    Holland musterte ihn unsicher. »Das weiß ich wirklich nicht. Da müßten Sie schon Ada

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