Fremde Federn
als stehe Long Piddle-ton eine Nacht der lebenden Toten bevor.« Jury sah, daß Plant Truebloods Aufmerksamkeit unter den Tisch zu lenken versuchte. Er erhob sich. »Gut, ich gehe ein bißchen spazieren. Schau vielleicht mal bei Vivian vorbei.«
Agatha hatte sich ebenfalls erhoben, um sich an den Tresen zu begeben, und sagte: »Sie haben es für sechs Monate gemietet. Um zu sehen, ob es das Richtige ist.«
Trueblood und Melrose schauten Agatha an. Und dann einander. Sie lächelten.
»Worüber grinsen Sie beide?« fragte Jury.
»Über nichts.«
»Über nichts.«
Es schneite ein wenig, winzige, vereinzelte Flocken schwebten zur Erde. Vor dem Jack and Hammer blieb Jury an dem Erker stehen, in dem sie gesessen hatten.
». ich kann es doch nicht übersehen haben«, sagte Trueblood.
»Haben Sie aber. Es war da drin.«
»Stecken Sie es weg«, flüsterte Trueblood. »Agatha kommt zurück.«
Kopfschüttelnd schaute Jury die High Street entlang. Der Briefträger zockelte auf dem Fahrrad vorbei, hielt bei Jurvis, dem Fleischer, und dann bei Ada Crisp.
Den ältlichen Postboten hatte Jury schon ein-, zweimal getroffen - im wahrsten Sinne des Wortes, denn der alte Mann konnte kaum noch etwas sehen. Aber Quick war steinalt, stocktaub und blind wie ein Maulwurf. Die Leute bekamen immer die falsche Post und mußten sie dann selbst zu den richtigen Empfängern bringen. Agatha hatte es sich natürlich zur Aufgabe erkoren, Long Piddleton von Abner Quick zu befreien, aber ohne Erfolg. Einen Brief an jemand anderen zu bekommen und dann zu dessen Cottage laufen zu müssen war eher eine willkommene Gelegenheit zu einer Extratasse Tee als zu einer Beschwerde. Und wenn man keinen Wert auf eine Tasse Tee mit einem bestimmten Empfänger legte, wartete man einfach, bis Mr. Quick wieder vorbeikam, oder brachte den Brief zur Poststelle und überließ es der Posthalterin dort, das Problem zu lösen.
Im Augenblick stand Ada Crisp neben ihrer Tür und las einen der Umschläge, die Abner Quick ihr hatte zukommen lassen. Sie sah entsetzt aus. Sie schaute auf, bemerkte Jury auf der anderen Straßenseite und winkte ihn zu sich.
»Hallo, Miss Crisp.« Sie schien wirklich schrecklich besorgt. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Es geht um diesen Mr. Browne, dem Wrenn’s Nest gehört.« Sie schaute über den Bürgersteig zur Ecke. Kläglich richtete sie den Blick auf Jury. »Hier steht, er bringt mich vor Gericht.«
»Vor Gericht? Warum, um alles in der Welt, das?«
»Er will mich hier raushaben, deshalb. Er will meinen Laden.«
Sie wrang die Zipfel ihres Kittels. »Ich bin seit vierzig Jahren hier, Mr. Jury. Dieser Mensch ist vor drei Jahren gekommen, und meint, ihm gehört das Dorf. Er macht nichts als Ärger. Er sagt immer, er will >expandieren<. Jetzt frage ich Sie - was will denn so ein kleines Dorf mit solch einer riesigen Buchhandlung?«
Jury las den Brief, es war tatsächlich eine Vorladung. Er war sich sicher, daß die Beschwerden über Miss Crisps Laden (»öffentliches Ärgernis«) jeglicher Grundlage entbehrten, aber es ging ja auch nur darum, sie psychisch zu attackieren, nicht darum, sich mit ihr auf einer rationalen Ebene auseinanderzusetzen. Widerwärtig. Und ein Unding waren die Gesetze, die so angelegt waren, daß man für jede grundlose Anschuldigung einen Grund erfinden konnte und jeder Idiot, jeder, der meinte, Schadensersatz einkassieren zu können, oder auf Rache aus war, ein Gerichtsverfahren anstrengen konnte. Jury schaute die Straße hinunter und lächelte.
Das Lächeln schien sie sichtbar aufzumuntern und eine schwere Bürde von ihren schmalen Schultern zu nehmen.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Miss Crisp. Vielleicht geh ich einfach mal hinein und rede ein Wort mit Mr. Browne.«
»Würden Sie das tun? Da wäre ich Ihnen ja so dankbar.«
Jury drehte sich um und rief ihr im Weggehen zu: »Denken Sie an das Schwein, Miss Crisp!« Das bezog sich auf das Verfahren, das Agatha gegen den Fleischer Jurvis angestrengt hatte - genauer gesagt, gegen sein Gipsschwein.
Miss Crisp lachte und winkte ihm zu.
Im Wrenn’s Nest Book Shoppe warteten zwei Leute, während Theo Wrenn Browne ein Buch stempelte und ein kleines Mädchen auszankte. Sie war die erste in der Reihe und wartete demütig schweigend vor dem Ladentisch. Sie hatte Schokoladenfingerabdrücke in einem der Ausleihbücher hinterlassen, und er drohte damit, ihr Pfandgeld einzubehalten. Die beiden Erwachsenen dahinter versuchten wegzuschauen. Sie rannte mit ihrem Buch
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