Fremde Federn
zuschnürte. Er schaute schnell auf die hohe Wand hinter ihr, die mit Bildern überladen war, als sei derjenige, der sie angeschafft hatte, von jedem einzelnen so hingerissen gewesen, daß er es fieberhaft und ohne Rücksicht auf Konventionen aufgehängt hatte. Die Wirkung war überwältigend. Jury war natürlich gewöhnt, daß Bilder in Augenhöhe und wohlüberlegtem Abstand voneinander hingen und je nach Künstler oder Periode geordnet in den dafür vorgesehenen Räumen versammelt waren. Aber diese sechs Meter hohe Wand sprach solchen Gepflogenheiten Hohn. Goya lehnte sozusagen van Gogh über der Schulter; Renoir trat Cezanne fast auf die Füße; wie Kinder kämpften die Impressionisten um Beachtung. Die vier Wände quollen über von Gemälden. Jury riß den Blick los von diesem Aufruhr an Farben und sagte: »Die Sandwiches werden doch nicht schlecht? Ich würde wirklich gern über Philip Calvert mit Ihnen reden. Ich bin von Scotland Yard. Polizist.«
»Wirklich?« Ihre Augen wurden groß. Und dann sah sie traurig aus. »Ach, ich hoffe, Sie finden heraus, was passiert ist.«
»Die Absicht habe ich.« Sie gehörte zu den Frauen, denen man etwas versprach und dann wie verrückt hoffte, daß man es würde halten können.
Als sie zurückkam, trug sie ein wenig Lippenstift und einen für Januar viel zu leichten Mantel. Der schmale runde Kragen ließ sie noch mädchenhafter erscheinen, und Jury fragte sich, ob sie mit Philip Calvert befreundet gewesen war oder eine Liebesbeziehung mit ihm gehabt hatte, so jung und unschuldig wirkte sie.
Sie ging mit ihm in eines dieser deprimierend weißen Cafes voller Hängekörbe mit Farnen und Grünlilien, die aussahen, als fielen sie einem gleich in die Suppe. Sie tranken beide Kaffee, und Hester aß ein Stück Blätterteiggebäck.
»Nach dem Tod seiner Eltern ist er nach England gegangen, um bei seiner Tante zu leben - Mrs. Hamilton. Ich glaube, er hat mal gesagt, sie sei seine einzige Verwandte. Studiert hat er in Cambridge und dort seinen Abschluß gemacht - er hatte Kunstgeschichte belegt. Um den Job hier zu kriegen, durfte er Cambridge nicht erwähnen. Experten sind hier unerwünscht. Phil hat zehn Jahre in Großbritannien gelebt, und dann ist er nach Philadelphia zurückgekommen.«
»Warum?«
»Er wollte nicht in England leben. Aber seine Tante lebte dort. Sie liebt England.«
Jury wurde klar, daß Hester gar nicht wußte, daß die Tante gestorben war. Er erzählte es ihr.
Eine ganze Weile sagte sie nichts und drehte nur die Gabel in den Händen. »Ich frage mich, ob sie an gebrochenem Herzen gestorben ist.«
Jury war verblüfft. Ihre Stimme klang, als sei es nicht schwer, an gebrochenem Herzen zu sterben.
Sie erzählte Jury, was sie über Frances Hamilton wußte. »Sie hatte ihr Leben völlig auf ihn eingerichtet. Er war ihre ganze Hoffnung. Ob sie wohl enttäuscht war, daß er kein großer Künstler oder so etwas wurde? Sie hatte sehr viel Geld und sagte ihm, sie würde ihm liebend gern ein Jahr in Paris finanzieren. Glauben die Leute das immer noch? Daß man nach Paris gehen muß, um Künstler zu werden?« Sie seufzte. »Phil machte sich aber nichts aus Geld - nur aus Malerei. Er atmete Kunst.«
Jury lächelte. »Dann hatte er aber hier das Richtige gefunden. So eine Gemäldegalerie habe ich noch nie gesehen. Barnes hatte wohl ein ziemlich exzentrisches Verhältnis zur Malerei.«
Sie lachte. »Vermutlich zu allem. Aber besonders zur Malerei. Man kann ja erst seit kurzem hier hinein und es sich ansehen; es war wahrscheinlich die größte Privatsammlung der Welt. Sie dürfen es auch nicht als >Museum< bezeichnen. Es ist die Barnes Foundation, die Stiftung. Kunstexperten hätte er nie hineingelassen. Die hat er gehaßt wie die Pest, weil sie seiner Ansicht nach den Leuten vorschreiben, wie man mit Kunst umgehen soll. Und in seinem Testament hat er verfügt, daß keines der Bilder woanders hingehängt werden darf - jedes muß da bleiben, wo er es hingehängt hat. Er hat sie auch nicht einzeln verliehen oder für ganze Ausstellungen herausgegeben. Erst vor kurzem, nach vielen Streitereien unter den Erben, wurde die Ausstellung in Washington erlaubt. Daß die Barnes Foundation dazu ihre Einwilligung gegeben hat, war das Ereignis in der Kunstwelt.« Hester holte tief Luft. »Mir gefällt seine Sammlung wirklich gut. Sie ist so per-sönlich. Er konnte tun und lassen, was er wollte. Ich finde es gut, wenn man der Typ ist, der einfach >Leck mich am Arsch< sagen
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