Fremde Federn
riechen, wenn Menschen sie nicht mochten. Agatha wollte nun sogar durch ihre Klage erreichen, daß der Hund eingeschläfert wurde, und sie verfolgte Miss Crisp genauso gnadenlos wie damals den Fleischer. Der Mann hatte fast einen Zusammenbruch erlitten. Ada Crisps Seelenzustand war noch besorgniserregender.
All dies ging Melrose durch den Kopf, während er auf der Schwelle wartete. Endlich öffnete sich die Tür. Trueblood begrüßte ihn überschwenglich und schlug ihm mit der Frage »Hausaufgaben gemacht?« so herzlich auf den Rücken, daß er in den Laden taumelte.
»Ach, hören Sie bloß auf!« rief Melrose und schlenderte nach hinten, wo Trueblood ein altes Schülerpult hingestellt hatte. Sogar das Tintenfäß-chen war aufgefüllt, und ein Federkiel stand bereit.
Für Februar war die Sonne schon stark, aber sie gelangte nicht durchs Erkerfenster, weil es von einem gewaltigen bauchigen Bücherschrank und einer georgianischen Konsole mit protzigem Adlerunterteil verstellt war. Das Licht aus Porzellanlampen, niedrig hängenden Lüstern und Wandleuchten schuf eine verschwommene, mysteriös erhellte Welt von Kredenzen, Teetischen, Schreibpulten und Bücherschränken, Fauteuils und blankpolierten Sekretären mit üppigen Schnitzereien, riesigen geschliffenen Spiegeln und vergoldetem Holz. Ada Crisps Gebrauchtmöbelladen war direkt gegenüber von True-bloods Antiquitätengeschäft auf der anderen Straßenseite, und wenn man vom einen zum anderen schaute, so war es, als verwandele sich eine schlampige Cockney-Frau in die elegante Dame von Welt.
Die hintere Tür des Ladens war zur Gasse hin offen. Hier parkte der Wagen, den Trueblood für Kundenlieferungen und zum Transportieren der bei Landauktionen erstandenen Schätze benutzte. Durch die offene Autotür sah Melrose die schnörkelige Lehne eines Rosenholzsofas und ein Tischbein. True-blood kletterte in das Gefährt und zog den Tisch an die Türöffnung.
»Schauen Sie sich den an. Ist der nicht herrlich? Ein Burgundertisch.«
Melrose studierte die in das Obstbaumholz eingelassenen kunstvollen Holzintarsien. Ein Prachtexemplar.
»Außen wunderschön und innen eine Überraschung.« Er schob die Platte hoch. »Kistenteufelchen-Schubladen.«
In der Erinnerung daran, daß sie einmal eine Leiche in einem seiner Sekretäre gefunden hatten, sagte Melrose: »An Ihren Überraschungen in Möbeln bin ich weniger interessiert.«
Trueblood sprang aus dem Wagen, und sie gingen zurück ins Haus.
»Und, haben Sie Max Owen angerufen?« Melrose fürchtete sich beinahe vor der Antwort.
Trueblood ließ sich in seinen Schreibtischsessel sinken und bedeutete Melrose durch eine Handbewegung, auch Platz zu nehmen.
»Nein, nicht an das Kinderpult. Vielen Dank.« Schon völlig entnervt setzte Melrose sich in einen Ohrensessel. »Haben Sie ihn angerufen?«
»Ja. Ich habe ihm erzählt, ein Bekannter von ihm habe erwähnt, daß er einen Burgundertisch suche. So einen, wie wir ihn gerade angeschaut haben.«
Melrose' Miene verfinsterte sich. »Wer hat Ihnen denn erzählt, daß er einen sucht?«
Trueblood lehnte sich im Sessel zurück, er sah gequält aus und klang auch so. »Niemand, alter Kämpe. Aber schließlich mußte ich ja einen Grund für meinen Anruf nennen. Dann haben wir eine Weile geplaudert. Wir Leute aus der Branche können stundenlang miteinander reden -«
»Ist mir auch schon aufgefallen.«
»Und er fragte mich, ob ich was über den Tisch wüßte und wo er herkäme und ob ich Bescheid wüßte über ein paar Stücke aus seinem Besitz. Über einen bestimmten Regency-Sekretär zum Beispiel. Und als ich ja, natürlich, gesagt habe, wollte er wissen, ob ich Zeit hätte, nach Lincolnshire zu kommen und einen Blick auf seinen Kram zu werfen. Da habe ich ihm erzählt, ich müßte nach Barcelona -«
»Wozu denn das?«
»Muß ich doch gar nicht. Ich hab's ihm nur erzählt. Und daß ich genau den richtigen Mann für diesen Gutachterjob kenne.«
Melrose schaute ihn erschreckt an. »Hören Sie, ich hoffe, Sie waren bei dem Lebenslauf, den Sie mir verpaßt haben, vorsichtig. Ich bin kein dämlicher Graf Dracula oder Wochenenditaliener.«
Trueblood stieß einen angewiderten Laut aus. »Natürlich nicht. Vertrauen Sie mir nicht?«
»Nein.«
»Keine Bange. Ich habe gesagt, Sie wohnen in London. Außerdem sind Sie kein Profi, sondern Amateur. Das hat den Vorteil, daß Sie bei Sotheby's oder Christie's nicht unbedingt bekannt sind, weil Sie sich immer sehr bedeckt halten. Sie sind ja
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