Fremde Federn
den Schmutz von ihrem Kleid klopfte, verbeugte sie sich in Richtung von Mrs. Baums Fenster. Hätte man Mädchen für undamenhaftes Verhalten eingesperrt, hätte ihre Nachbarin bestimmt unverzüglich die grüne Minna gerufen. Mit ihren Imitationen der neunmalklugen Witwe am Abendbrottisch brachte Fritzi sogar ihren Vater zum Lachen.
»Ich freue mich so, daß du nach Detroit gehst, Carl.«
»Pa hat mir gestern abend tatsächlich gratuliert. Er freut sich auch.« Das machte sie nachdenklich. Würde der General ähnlich reagieren, wenn er von ihrer Entscheidung erfuhr, ihr Zuhause zu verlassen? Wohl kaum, sie war ja eine Frau.
»Ich habe mich in Baltimore dazu entschieden, als ich mir diesen Fiat ansah«, fuhr er fort. »Drei Tage lang habe ich mich mit dem Fahrer und seinem Mechaniker unterhalten. Das hat mich so viel Bier gekostet, daß ich dachte, ich würde wegen Zechprellerei im Gefängnis landen. Habe aber eine Menge gelernt und beschlossen, daß ich selbst fahren muß. Aber dann habe ich entschieden, daß ich zuerst lernen muß, wie man sie baut.« Das Aufklatschen des Balls im Handschuh war nun in kürzeren Abständen zu vernehmen. »Ich suche mir eine Arbeit in einer Autofabrik oder bei einer Firma wie Dodge Brothers, die Teile anfertigt. Davon gibt es Dutzende, das weiß ich, weil ich in der Bibliothek nachgesehen habe. Detroit ist groß im Kommen. Und was ist mit dir? Du hast doch die Schauspielerei nicht an den Nagel gehängt, oder?«
»Das werde ich nie.«
»Ich hatte nicht erwartet, dich in Chicago zu sehen, jetzt, wo Pa wieder gesund ist.«
»Ich bin schon zu lange da. Aber das wird sich ändern.«
»Erzähl!«
Fritzi knallte den Ball in ihren Handschuh, dann holte sie tief Luft und warf.
»Ich werd’s am Broadway versuchen.«
Carl überlegte kurz, dann verzog sich sein Mund zu einem Lächeln. »Klar, das scheint mir genau der richtige Ort für jemanden, der soviel Talent hat wie du.«
»Es muß aber ein Geheimnis bleiben, bis ich es Papa sage.«
»Das wird nicht so leicht sein, Schwesterchen.«
»Brauchst du mir nicht zu sagen«, antwortete sie niedergeschlagen. »Aber ich muß es tun, Carl. Wenn ich es nicht tue, werde ich es immer bereuen.«
Er klatschte den Ball immer wieder in seinen Handschuh und fragte: »Wie fühlst du dich dabei? Hast du Angst?«
»Entsetzliche Angst. Alle Schauspieler, die ich kenne, sagen, New York sei eine kalte, herzlose Stadt. Aber gleichzeitig kann ich’s kaum erwarten.«
»Wann willst du los?«
Fritzi durchlief ein kalter Schauder, der nichts mit der winterlichen Temperatur zu tun hatte. »Gleich nach Weihnachten. Mama hab’ ich’s schon gesagt. Sie ist zwar nicht dafür, aber sie wird mir keine Steine in den Weg legen. Das große Hindernis ist Papa. Ich habe mir fest vorgenommen, es ihm noch vor Weihnachten zu sagen. Ich habe jetzt schon Bauchschmerzen.«
Carl warf den Ball über die Schulter ins Gras und legte einen muskulösen Arm um sie. »Ich bin zwar kein Experte auf dem Gebiet, aber ich will dir trotzdem einen Rat geben. Du weißt, daß Papa wahrscheinlich toben wird. Irgendwie lebt er immer noch in der Vergangenheit. Eine Frau braucht einen Ehering und Kinder und so weiter. Na ja, klar, für die einen ist das ja auch genau das richtige. Aber ich glaube, du bist in gewisser Weise wie ich, Fritzi. Einzelgänger und Außenseiter. Wir beide haben andere Träume. Andere beispielsweise, als sie Pa hatte, als er jung und arm aus der Alten Welt kam und versessen darauf war, viel Geld zu verdienen. Wir leben in einem unglaublichen, neuen Jahrhundert. Heute gelten andere Regeln. Hast du das kleine schwarze Auto gesehen, das eben hier vorbeigetuckert ist? Henry Ford hat das Modell erst in diesem Jahr auf den Markt gebracht und bereits mehr als tausend Stück verkauft. Mir tut der Typ mit der Peitschenfabrik leid, denn heute gelten andere Regeln. Auch für Pa. Und deshalb rate ich dir, laß dich nicht einschüchtern und nicht von deinen Plänen abbringen.« Er deutete auf den blassen Himmel im Osten. »Wenn dein Traum dort liegt, mach dich auf den Weg und such ihn.«
Er drückte ihr einen brüderlichen Kuß auf die Wange.
»Versprich mir, das du’s tust.«
»Ich versprech’ es, Carl, ich versprech’ es - danke dir! Du gibst mir die Bestätigung, die ich brauche. Es wird nicht leicht sein, es ihm zu sagen.«
Carl machte ein paar Schritte, um den Ball aufzuheben. Er holte aus und zielte auf ihren Unterarm. »Aber vergiß nicht, Pa
Weitere Kostenlose Bücher