Fremde Federn
Straßen waren trocken.
Sie vernahm schwere Schritte im oberen Korridor und rannte zur Tür.
»Papa! Du kommst heute früh nach Hause.«
»Ja, ich konnte mich freimachen.«
»Könnte ich dich einen Moment sprechen?« Ihr Herzschlag dröhnte wie Donner in ihren Ohren.
»Aber natürlich«, sagte er mit einem gutmütigen Lächeln. »Soll ich reinkommen?«
»Es wäre vielleicht besser, wenn wir in dein Arbeitszimmer runtergingen.«
»Ganz wie du willst.« Sie standen nebeneinander auf dem oberen Treppenabsatz. Er bot ihr seinen Arm. »Du siehst ganz bezaubernd aus. Du wirst die Schönste auf der Feier sein.«
»Kaum.« Vor lauter Nervosität wäre sie auf der langen Treppe, vorbei am herrlichen Christbaum, zweimal beinahe gestolpert.
In seinem Arbeitszimmer zog Joe Crown den Besucherstuhl von der Wand weg. Draußen legten sich die tiefen blauen Schatten des Winters auf die Stadt. Kahle Äste schüttelten sich im Wind, der vom See heraufwehte.
Fritzi setzte sich auf die Stuhlkante und faltete die Hände fest im Schoß, damit sie nicht zitterten. Lampenfieber! Sie konnte sich beim besten Willen nicht an die ermutigenden Worte Carls erinnern.
»Was ist, mein Mädchen? Was hast du auf dem Herzen?«
»Pläne, Papa. Ich möchte dir von meinen Plänen erzählen.«
»Bitte«, sagte er und lächelte wieder. Er schlug die Beine übereinander und faltete die Hände über der Rundung, die sich um seine Mitte abzuzeichnen begann. Außer seiner Haarpomade roch Fritzi Bier. Vielleicht hatte er bereits in der Brauerei ein wenig gefeiert. Er schien in guter Stimmung zu sein.
»Ich gehe nach New York«, sagte sie.
Seine Stirn kräuselte sich. »Interessant. Zum Einkaufen, nehme ich an?«
»Nein, ich werde dort leben und mir Arbeit am Theater suchen.«
Irgendwo im Westen drangen die Strahlen des schwindenden Tageslichts durch die Wolken, fielen auf das Fenster des Arbeitszimmers und färbten es rot. Joe Crowns Haltung und Gesichtsausdruck blieben unverändert. Trotzdem war es Fritzi, als sei das Blut aus seinen Wangen gewichen.
»Ich verstehe. Gut. Es ist gut, daß du es mir gesagt hast.«
Er schritt zur Tür, die ein paar Zentimeter weit offenstand. Er warf die Tür zu, und ihr war, als fiele eine Kerkertür ins Schloß. Wie ein Soldat stand er mit gespreizten Beinen da, den Rücken zum Fenster gewandt. Alles, was sie erkennen konnte, war eine schwarze Gestalt
vor einem feuerroten Hintergrund.
»Darf ich fragen, wann du dich entschieden hast?«
»Es ist schon eine Weile her. Am Mittwoch habe ich mir die Fahrkarte für den Zug gekauft.«
»Laß uns vernünftig darüber reden.« Er sprach immer noch in ruhigem Ton, der zwar nicht gerade freundlich, aber auch nicht feindselig war. Das ermutigte sie.
»Bei allem Respekt, Papa, aber es ist nicht nötig, daß wir darüber reden.«
»Erlaube mir, daß ich dir widerspreche. Es ist nicht gut für ein Mädchen deines Alters, sich in New York auf eine Karriere in einem zweifelhaften und gefährlichen Gewerbe einzulassen. Eine Karriere, die es vielleicht gar nicht gibt.«
»Carl geht nach Detroit, ohne daß er eine feste Stelle hätte. Das heißt du doch auch gut.«
»Carl ist ein Mann. Das ist ein großer Unterschied.«
»Oh, Papa. Das ist so altmodisch!« Ohne es recht zu merken, wies sie ihn zurecht. Sie war wütend.
Seine Stimme klang nach wie vor ruhig und gefaßt: »New York ist eine schmutzige und lasterhafte Stadt, das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Und sehr gefährlich für eine alleinstehende junge Frau. Du besuchst ein öffentliches Theater« - er gestikulierte heftig, sich auf seine Rede einstimmend - »so wie die unschuldigen Leute, die vorigen Sommer im Dachtheater des Madison Square Garden waren, und auf einmal wirst du und nicht Stanford White von einem eifersüchtigen Irren über den Haufen geschossen. Es ist einfach zu gefährlich, Fritzi. Bitte überleg es dir noch einmal.«
Er ließ sich nicht beirren. Aber sie genausowenig.
»Ich habe lange darüber nachgedacht, Papa. Ich informiere dich nur, weil ich loyal bin.«
»Wie rücksichtsvoll«, antwortete er, diesmal mit bitterem Groll.
»Du weißt, daß in der Theaterwelt nur der Broadway zählt. Wenn ich nicht herausfinde, ob ich dort wirklich Erfolg haben kann, werde ich mich mein ganzes Leben dafür hassen.«
Joe Crown starrte aus dem Fenster, sein Profil wirkte in dem roten Abendlicht wie ein Scherenschnitt. »Bitte versteh doch, Fritzi, glaub bitte nicht, daß ich es dir schwermachen oder
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