Fremde Federn
meinen eigenen Kopf durchsetzen will.« Ach, nein?
Bittend streckte er ihr seine kleinen, gepflegten Hände entgegen. »Ich will nur das Beste für dich. Einen Mann. Ein Heim. Kinder.«
»Ich bin wahrlich nicht die phantastische Schönheit, die sich ein Mann zur Frau wünscht.«
»Du bist ungerecht zu dir selbst, furchtbar ungerecht. Du wirst jemanden finden. Vielleicht solltest du deine Erwartungen nicht ganz so hoch hängen. Auf jeden Fall bin ich der Meinung, eine junge Frau mit gutem Charakter gehört .«
Sie sprang auf. »Du meinst, Kinder, Küche und Kirche, hab’ ich recht? Papa, das war in deinem Jahrhundert so. Dieses ist meines. Mein Leben.«
»Dein Leben! Du mußt es sehr gering achten, wenn du darauf bestehst, es mit diesem niederen Theatervolk zu verbringen.«
Seine Stimme war lauter geworden. Fritzi preßte die Hände zusammen. Das Gespräch geriet außer Kontrolle. »Wie kannst du so etwas sagen? Du selbst hast mir doch die Erlaubnis gegeben, mich der Mortmain-Truppe anzuschließen.«
»Für eine Tournee durch den Süden - ein Teil des Landes, der sehr viel sicherer ist als New York.« Er hakte einen Finger in seinen Kragen ein und zerrte daran, ein untrügliches Zeichen seiner Erregung. »Ich dachte mir, daß ein Jahr oder zwei auf Tournee dich kurieren würden. Du solltest das einfache Leben von Schauspielern sehen, von denen die meisten ohnehin nie etwas Bedeutendes zustande bringen. Du solltest dieses unglückselige Los so lange mit ihnen teilen, bis dir die Augen aufgingen und du eines Besseren belehrt wärst.«
»Das hast du wirklich geglaubt, als du mich gehen ließest?«
»Ja.«
»Dann hast du mich also gar nicht unterstützt? Du hast mich losgeschickt in der Hoffnung, daß ich scheitere?«
Er streckte die Hände nach ihren roten Satinärmeln aus. »Bitte beruhige dich.«
Sie machte sich los. »Ich bin kein Kind mehr, das gegängelt und getröstet werden muß. Diesen Fehler machst du leider immer wieder.« Das Blut war ihr ins Gesicht geschossen, ihre Stirn glühte, ihr Magen rebellierte.
»Du, du verstehst mich nicht. Ich wiederhole, ich will nur das Beste für dich. Als du gingst, habe ich geglaubt, du wärst töricht und fehlgeleitet. Ich habe dich nicht gehen lassen, damit du scheiterst, sondern damit du des Theaters überdrüssig wirst. Aber es scheint so, als sei ich gescheitert. Deshalb muß ich noch einen Versuch machen. Ich bitte dich, nicht zu gehen. New York ist ein Pfuhl für Kriminelle, Radikale und Pseudointellektuelle der Eliteuniversitäten, die ihre Nasen hoch halten. Und diese verdammten neuen Frauen mit ihren kurzen Haaren! Ich habe Photos gesehen, auf denen sie in Hosen und Krawatten und Herrenhüten herumstolzieren. Manche prahlen sogar mit Zigarren und Pfeifen. In aller Öffentlichkeit! Ich möchte nicht, daß du auch so wirst.«
»Papa, das ist doch lächerlich! Das wird ganz bestimmt nicht der Fall sein.«
»Du bist ein liebes Mädchen« - sie mied seinen Blick -, »aber sehr sensibel. In diesem Augenblick bist du wahrscheinlich sogar ein wenig hysterisch. Laß es mich in einfachen Worten sagen. Wenn du an dieser irrsinnigen Idee weiter festhältst, ziehst du dir mein größtes Mißfallen zu.«
Doch das hatte sie bereits, das war klar ersichtlich an der Stellung seines Mundes, an den Krähenfüßen um seine Augen. Mit zwei schnellen Schritten trat sie auf ihn zu und hob den Blick, ohne zu blinzeln.
»Und was ist dann, Papa? Wirst du mich dann enterben?«
»Ich mag deinen Ton nicht.«
»Das tut mir leid, ich bin eine erwachsene Frau. Ich werde immer deine Tochter sein, aber ich bin nicht deine Sklavin.«
»Ich verbiete dir zu gehen. Ich verbiete es dir!«
Im Arbeitszimmer war es inzwischen so dunkel geworden wie in einem Grab; das letzte rote Licht war erloschen, die Sterne glitzerten hoch oben, jenseits der Glasscheibe, die im Wind klirrte.
»Die Entscheidung darüber liegt nicht bei dir, Papa. Adieu.«
Fritzi war den Tränen nahe. Sie rannte hinaus und schlug die Tür mit lautem Knall hinter sich zu. Das Stichwort war genau richtig gefallen, bühnenreif. Nur daß auf der Bühne, wenn das Stück zu Ende war, keine Konsequenzen folgten.
10. OSTWÄRTS
»Liebchen, bitte geh nicht«, flehte Ilsa. Fritzi warf Strümpfe und Unterwäsche in das mit Baumwolle ausgeschlagene Innere ihres Schrankkoffers. Es handelte sich um einen schönen, alten Koffer aus Lindenholz, überzogen mit Leinen, der oben, unten und seitlich mit Holzleisten verstärkt war. Nicht
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