Fremde Federn
einen unfreundlichen Blick zu und sagte: »Theodores Energie und Neugierde sind grenzenlos.«
»Es ist eine Schande, daß Pauls Arbeit nur in Fünf-Cent-Theatern zu sehen ist«, klagte Fritzi. »Die anderen Filme, die angeblich eine Geschichte erzählen, sind Schund.«
»Ganz deiner Meinung«, pflichtete Joe ihr mit freundlichem Nik-ken bei. Joe junior machte einen gelangweilten Eindruck, sein Kopf hing über dem Teller, von dem er den Kartoffelbrei in sich hineinschaufelte. Joe fuhr fort: »Ich habe mir vor einem Jahr ein paar dieser Filme angeschaut. War ein großer Fehler. Sie bieten nichts außer ein paar Schmierenkomödianten, die hinter ein paar leichtbekleideten Mädchen herjagen oder Lattenzäune niederreißen und auf Blumenbeeten herumtrampeln. Kein Respekt vor fremdem Eigentum.«
Joe junior kicherte. »Eigentum. Ja freilich.«
»Wir wissen alle, was du und dein Freund Debs über das Eigentum denken«, herrschte sein Vater ihn an. »Ich brauche keine Erläuterungen von ...«
Er wurde von einem lauten Klopfen an der vorderen Haustür unterbrochen. Ilsas Blick wanderte in Richtung Halle, während Leopold schon zur Tür eilte. Die Haustür ging auf; man hörte den Wind. Ilsa sagte: »Wer um alles in der Welt besucht uns so spät?«
Leopold kam zurückgeeilt. »Sir - Madam -, es ist Ihr Sohn«, stammelte er.
»Carl? Mein Gott!« Ilsa sprang auf, rannte an Leopold vorbei und rief: »Wo kommst du her?«
»Aus Pittsburgh, Mama«, antwortete Carl stolz. »Pittsburgh und South Bend, im Güterwaggon von Pullman.«
Sprachlos vor Freude, folgte Joe seiner Frau in die Halle. Auf Carls Haar und seinem geflickten Mantel schmolz der Schnee. Ein langer roter Schal, den er sich mehrmals um den Hals gewickelt hatte, schleifte auf dem Boden. Man sah ihm an, daß er sich tagelang nicht rasiert hatte. Um seine Stiefel bildeten sich kleine Wasserpfützen auf dem Marmorfußboden.
Carl eilte seiner Mutter entgegen, umfing sie mit den Armen, nahm sie hoch und wirbelte sie im Kreis herum. Ilsas durch die Luft fliegenden Füße warfen eine hohe chinesische Vase um. Wenn Carls Ungeschicklichkeit mit seiner unbändigen Energie zusammentraf, ging nicht selten etwas kaputt. Heute achtete niemand darauf.
Nachdem er seine Mutter wieder abgesetzt hatte, schüttelte er seinem Vater die Hand. »Grüße dich, Papa. Hallo, Joey. Fritzi, komm, laß dich umarmen!« Und schon wurde sie genau wie Ilsa einmal im Kreis herumgewirbelt. Sie war atemlos, als er sie wieder absetzte.
»Mit dir haben wir wirklich nicht gerechnet«, gestand sie.
»Ich bin auf dem Weg nach Detroit.«
»Detroit?« wiederholte Joe Crown ungläubig.
»Ich will mir dort Arbeit suchen. Seit neuestem beschäftige ich mich mit schnellen Autos, und jetzt möchte ich auch noch wissen, wie sie gebaut werden. Ich möchte eines fahren.«
»Du suchst Arbeit?« fragte Joe. »In einer Autofabrik?« Fast fürchtete er, mit der Nachfrage die Sache erst wirklich wahr zu machen. Grinsend legte Carl einen Arm um die Schultern seines Vaters und beugte sich zu ihm hinunter.
»Ganz genau, Papa, dein unsteter Sohn hat tatsächlich etwas gefunden, was ihn interessiert. Es war noch im Osten - Baltimore. Ich erzähl’ euch später alles ganz genau.«
»Du bleibst doch bis Weihnachten?« erkundigte sich Fritzi erwartungsvoll.
»Ja, ich bleibe über die Feiertage, aber dann muß ich weiter«, antwortete Carl.
»Das ist ja wunderbar«, rief Ilsa. Nur Joey, der am Türrahmen des Speisezimmers lehnte, sah gleichgültig drein. Das machte seinen Vater wütend.
»Komm rein, komm rein, es ist noch genug zu essen da«, erklärte Ilsa, überschäumend vor Glück.
»Hört sich gut an«, gab Carl zurück. »Kein Speisewagen in den Güterwaggons.«
»Das ist doch lebensgefährlich, ohne Fahrkarte im Güterwaggon mitzufahren«, meinte Ilsa.
»Aber nein, ich hatte einen ausgezeichneten Lehrer: Paul. Er hat’s in Berlin gelernt.«
»Ich bin froh, daß du wieder zu Hause bist«, sagte Joey, als die anderen ins Speisezimmer zurückgingen. »Ich bin müde, wir reden morgen.« Er humpelte zur Treppe, wobei er sein künstliches Bein nachzog. Joe ballte die Hände zu Fäusten, als er seinem Sohn auf dem Weg hinauf nachblickte.
Er verlangte eine Flasche Schnaps und ein weiteres Gedeck. Ilsa, Fritzi und Carl schwatzten munter drauflos, während er still daneben saß und abwechselnd Kaffee und Schnaps trank. Der Alkohol tat die gewünschte Wirkung, schon bald fühlte er sich besser. Carl hatte ihm ein
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