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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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beiden Seiten der mit Abfall übersäten Antoine Street standen häßliche Zweifamilienhäuser, von denen die Farbe abblätterte, deren Stufen oder Verandageländer kaputt waren und in deren Gärten das Unkraut wucherte. Die Laternen an den Straßenecken tauchten alles in ein trübes Licht. Irgendwo schrie ein Baby, jemand zupfte an den Saiten eines Banjos. Aus der Dunkelheit drang das Knurren eines Straßenköters. Seine Augen funkelten wie gelbe Steine.
    Ein Blick in die kleinen Gassen, die zwischen den Häusern verliefen, genügte, um die Hütten zu sehen, die offenbar bewohnt waren; in mehreren brannte Licht. Paul war deprimiert.
    Eine weiße Frau in einem quietschenden Schaukelstuhl sah ihnen nach, als sie vorbeischlenderten. Im nächsten Garten spielten zwei schwarze Kinder. »Die Straße ist sozusagen ein gemischtes Viertel«, erklärte Carl. »Man wohnt hier billig. Mein Mechaniker Jesse ist Neger. Er hat zwei Straßen weiter ein kleines Haus. Bei ihm ist es ordentlicher als bei den meisten von denen.«
    »Vertragen sich Farbige und Weiße?«
    »Eigentlich ja. Der meiste Ärger kommt von draußen. Irische Banden ziehen hier durch und verprügeln Leute nur so zum Spaß. Dort drüben wohne ich.« Er deutete auf ein Holzhaus an der Straßenecke. Ein Mann lag flach hingestreckt auf der Veranda. Eine Frau beugte sich weinend über ihn. »Du, das ist meine Vermieterin.«
    Carl rannte voraus. Paul folgte ihm mit schnellen Schritten und trat durch das Gartentor in dem niedrigen weißen Zaun, dem mehrere Latten fehlten. Der Mann auf der Veranda hob den Kopf und versuchte aufzustehen. Blut rann aus seinem Mund. Ein paar der oberen Zähne hingen nurmehr an roten Fäden. Ein Auge war zur Größe eines Hühnereis angeschwollen. Der Mann fiel der Länge nach wieder hin. »Verdammt, tut das weh. Ich glaube, ich habe mir eine Rippe gebrochen.«
    »Mrs. Gibbs, was ist Ned passiert?« fragte Carl aufgeregt.
    Mrs. Gibbs schluchzte. »Er kam erst spät von der Arbeit nach Hause. Er erzählte, sie hätten ihm an der Ecke aufgelauert und in die Gasse hinterm Haus gezerrt. Ich hatte bereits die Hintertür abgeschlossen, darum mußte er sich ums ganze Haus schleppen. Er hat nach mir gerufen, aber nicht laut genug. Erst vor fünf Minuten hab’ ich ihn hier gefunden.«
    »Wer war es? Eine dieser Banden?«
    Nach dem vergeblichen Versuch, den Kopf zu heben, versuchte der Verletzte zu fluchen. Er spuckte jedoch nur noch mehr Blut.
    »Klar doch, die Banden«, entgegnete die Frau bitter. »Eine Bande im Auftrag der E. A. das war’s. Der Vorarbeiter hat Ned gedroht, ihn zu entlassen, weil er angeblich Ärger stiftet. Sie kennen ja meinen Ned, zu unverblümt für einen einheitlich gewerkschaftlich organisierten Betrieb. Er hat keine Angst, den Mund aufzumachen.«
    »Detroit ist eigentlich eine Stadt mit offen-gewerkschaftlich organisierten Betrieben«, sagte Carl zu Paul. »Aber die E. A. kann bei Durchsetzung der Betriebsoffenheit ziemlich ungemütlich werden.«
    »Was ist E. A.?«
    »Employers’ Association of Detroit, eine Arbeitgebervereinigung.«
    »Hast du auch schon Ärger mit denen gehabt?«
    »Nicht bei Ford. Aber mein Mechaniker in seiner Gießerei. Entschuldige, Paul, ich werde hier gebraucht. Es war ein schöner Abend.«
    »Ich helfe dir, ihn reinzutragen.«
    Vorsichtig hoben sie den stöhnenden Mann hoch. Mrs. Gibbs hielt ihnen die Tür auf. Sie legten Gibbs auf ein schmuddeliges Bett in einem übelriechenden Schlafzimmer. Mrs. Gibbs bat Carl, Dr. Stein zu holen.
    »Ich sehe dich dann morgen früh«, verabschiedete sich Paul beim Hinausgehen. Er wandte sich in Richtung Fluß. Carl schlug die entgegengesetzte Richtung ein.
    In der Stille der Nacht schlenderte Paul zum Ponchartrain zurück. In der Ferne knatterte ein Auto. Oder war es ein Schuß aus einer Pistole? Ein paar Minuten später legte eine kreischende Sirene die Antwort nahe.
    Eine aufgetakelte Hure sprach ihn an. Ohne den Blick zu heben, bedeutete er ihr mit einem Wink seiner Zigarre zu verschwinden. Auf der Leinwand in seinem Kopf sah er die weinende Vermieterin und das Blut, das aus dem Mund ihres Mannes lief. Die aufstrebende Autometropole Detroit war nicht so friedlich, wie es dem ersten Anschein nach schien.
20. MODELL T
    Am Freitag morgen fuhr Paul in einem Taxi zur circa drei Meilen nördlich des Stadtzentrums gelegenen Ford-Fabrik in der Piquette Avenue. Riesige weiße Buchstaben am Eingang des Backsteingebäudes verhießen die HEIMSTÄTTE DES BERÜHMTEN

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