Fremde Federn
Dröhnen. Als Paul sein Stativ aufstellte, kam ein Mann aus der Hütte gestolpert und brach, nach Luft ringend, im Gras zusammen. Pauls fragender Blick forderte eine Erklärung. Zum ersten Mal schien Ford zu zögern.
»Das ist der Testraum für Motoren. Wir stellen den Vergaser ein, vergewissern uns, daß er auf allen vier Zylindern läuft. Im Moment fehlt uns noch die Vorrichtung, um das Kohlenmonoxyd herauszuleiten. Deshalb passiert es immer wieder, daß wir einen der Männer herausziehen müssen, damit er an der frischen Luft wieder zur Besinnung kommt.«
Ein schwarz glänzendes Auto wartete fertig in einem Lagerraum der Fabrik. Paul schob den Schirm seiner Schiebermütze nach hinten. »Ich bin soweit.« Er fing an zu kurbeln. »Bringen Sie ihn raus.«
Ein Fahrer steuerte das Modell T in den Sonnenschein und drehte eine Runde vor der Kamera. Paul filmte die gleiche Sequenz noch zweimal. Dann bat er den Fahrer, den Motor mittels Starterklappe und Kurbel anzulassen. In der Zwischenzeit hörte Ford nicht auf, die Vorzüge des Autos herunterzubeten: »Zylinderblock aus einem Guß, haltbarer Vanadium-Stahl, einzigartiger Schwungradmagnet«. Da Paul nichts von alledem filmen konnte, entschieden sie sich, auf den
Preis einzugehen, indem Ford mit einer großen Tafel ins Bild trat. Er setzte die Tafel ab und lehnte sie an die Kühlerhaube. Unter dem blauen, ovalen Firmenemblem mit dem in zierlicher Schrift gehaltenen Wort »Ford« stand in fetten Buchstaben: FORD MODELL »T« NUR 825$!
Ford bewegte sich vor der Kamera wie ein geborener Schauspieler. Mit großer Geste deutete er auf die Tafel. Paul winkte. »Sehr gut!« Bevor er noch etwas anderes vorschlagen könnte, machte Ford ein paar Schritte zurück, um vor dem Modell T ein perfektes Rad zu schlagen. Dann wippte er auf den Zehenspitzen und grinste. Paul lachte. »Wunderbar!« Der Mann hatte zweifellos den richtigen Instinkt, wenn es darum ging, sich selbst in Pose zu setzen.
Es war heiß geworden, und Paul wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. »Ich würde gern ein paar Bilder vom Dach aus machen. Sie brauchen nicht mitzukommen, das schaff ich allein.«
»Darf ich Ihnen zum Abschied ein kleines Andenken überreichen?« Ford überreichte ihm ein kleines in Papier gebundenes Buch mit dem Titel Goldene Worte der Inspiration von R. M. Emerson. Auf dem Einband prangte Fords Unterschrift.
»Es stehen kluge Sachen drin, Paul. Anspruchsvolle Dinge über Moral und anderes. Ich lasse die Büchlein auf eigene Kosten druk-ken.« Er klopfte auf den signierten Einband. »Damit Sie mich und meine Autos nicht vergessen.«
»Das wäre unmöglich, Henry. Sie sind der geborene Reklamemensch.«
»Ja, ja, das habe ich schon von anderen gehört. Ich muß gestehen, daß ich gerne mit der Presse rede.«
»Und Ihre Beinarbeit ist auch nicht schlecht.«
»Haben Sie nie Volkstänze getanzt? Nein? Das ist jammerschade, es ist ein ganz unschuldiges Vergnügen. Also dann, Paul, auf Wiedersehen und danke, daß Sie gekommen sind. Ich kann es kaum erwarten, Ihre Aufnahmen zu sehen.«
»In zwei bis drei Wochen kommen sie in die Filmtheater«, sagte Paul. Während sie plaudernd zum Lagerraum zurückgingen, erwähnte Paul nebenbei auch Carl.
»Das ist Ihr Cousin? Ich habe ihn persönlich eingestellt. Er hat Humor, und das gefällt mir an einem Mann. Sein Chef meint, er habe keine Freunde in der Fabrik, er sei eher ein einsamer Wolf. Brauchbarer neuer Ausdruck. Habe ihn vorgestern zum ersten Mal gehört. Ihr Cousin ist ein harter Arbeiter. Natürlich ist eine interessante Arbeit niemals hart, wußten Sie das? Ich lasse ihn suchen.« Eilig marschierte Ford auf das Gebäude zu. Sein Gang erinnerte Paul an einen erschöpften Storch. Er war ein Energiebündel, vertrat aber einige seltsame Ansichten; Carl hatte Paul von Fords Wiedergeburtstheorie erzählt. Und was seine Abneigung gegen Juden betraf, woher mochte die wohl rühren? Paul hatte festgestellt, daß Menschen vom Land häufig dieser Ansicht waren. Die Leute aus dem Mittleren Westen begegneten nicht nur den Juden mit Mißtrauen, sondern auch den Bankiers von der Wall Street, Journalisten, Malern und Dichtern -einfach allem, was aus dem Osten kam.
Als Paul seine Sachen zusammenpackte, trat Carl aus dem Gebäude. »Ich habe gerade einen Wagen nach Dearborn geliefert. Gegen Mittag fahre ich einen zweiten nach Flint.«
»Ich nehme heute noch den Zug nach Chicago.«
»Wirst du die Familie
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