Fremde Federn
zu verdienen -indem wir ein Auto für die Massen herstellen und nicht für die oberen Zehntausend.«
Er fuhr sich mit dem Finger über die Unterlippe und lächelte. Es war ein seltsames Lächeln, kalt und zynisch.
»Sie halten mich für verrückt, die reichen Säcke von Grosse Pointe. Ich weiß, wie sie mich nennen. Henry den Einfaltspinsel. In ihren Augen bin ich ein Stümper, der in seinem ganzen Leben nicht eine einzige brauchbare Idee hatte. Aber wir werden ja sehen. >Groß zu sein, das bedeutet, mißverstanden zu werden<, hat Emerson gesagt. Ich habe in meinem Leben einen Zweck zu erfüllen. Es ist nicht mein erstes Leben, müssen Sie wissen. Wir alle haben schon einmal gelebt, vielleicht sogar mehrmals.« Im abendlichen Dämmerlicht und beim Gesang der Zikaden stellten sich Carls Nackenhaare auf. Ford sagte in normalem Tonfall die verrücktesten Dinge.
»Ich glaube, daß ich in meinem letzten Leben Soldat war und am ersten oder zweiten Juli 1863 in Gettysburg gefallen bin. Mein jetziges Leben begann am Ende desselben Monats, am dreißigsten Juli. Ein Leben geht in das andere über, ganz ähnlich den Jahreszeiten.«
Carl war wie betäubt, er hatte nicht die leiseste Ahnung, was er sagen sollte. Eine Antwort blieb ihm jedoch erspart, weil genau in dem Augenblick eine Telephonglocke läutete. Fords Frau rief ihn durch das Fliegengitter. »Notier die Nummer, Clara. Ich rufe zurück.«
Noch einmal schüttelte Ford Carl die Hand. »Melden Sie sich Montag, sieben Uhr, bei der Personalabteilung.«
»Ich danke Ihnen, Mr. Ford. Danke vielmals.«
»Seien Sie pünktlich. Die Personalabteilung wird Ihre Papiere ausstellen und Ihren Lohn festlegen. Um ehrlich zu sein, gefällt mir Ihre Art. Merken Sie sich nur, was ich über das Verhalten sagte, das wir hier erwarten. Es gibt keine Ausnahmen. Mögen Sie vielleicht eine Zigarre, bevor Sie gehen?«
»Nein, danke, eigentlich - sicher doch, danke.«
Ford reichte ihm eine Zigarre, während sie zurück ins Haus schlenderten, und hielt ihm ein brennendes Streichholz vor die Nase. Carl paffte. Die Zigarre hatte einen eigentümlichen Geschmack, wie Tabak, der mit irgendeiner Chemikalie versetzt wurde. Er hatte das Gefühl, trotzdem etwas Anerkennendes sagen zu müssen. Er wollte es gerade tun, als die Zigarre explodierte.
Ford schlug sich auf die Schenkel und schüttelte sich vor Lachen. Seine Frau kam herbeigerannt. »Oh, nein, Henry! Doch nicht dieser nette junge Mann! Mein Mann spielt anderen furchtbar gerne Streiche«, entschuldigte sie sich.
Im Spiegel des Flurs sah Carl seine versengten Augenbrauen und die aufgeplatzte Zigarre, die ihm wie eine exotische Blume an den Lippen hing. Er nahm die Zigarre aus dem Mund und sagte: »Ja, Ma’am, das sehe ich.«
»Ein Mann muß Sinn für Humor haben«, erklärte Ford. »Das ist ein Zeichen für guten Charakter. Spaß muß sein. Sie nehmen es doch nicht übel?«
»Nein, Sir.« Er fragte sich allerdings, wie lange es dauern würde, bis seine Augenbrauen nachgewachsen wären.
»Also dann, danke für Ihren Besuch. Und nicht vergessen: Gehen Sie in die Bücherei. Lesen Sie Emerson! Gute Nacht!«
In der Eingangshalle des Hotels Ponchartrain sagten sich die Vettern gute Nacht. Vom guten Essen und vom Bier war Paul ein wenig müde, so daß er das Gefühl hatte, er könne noch etwas frische Luft vertragen. »Ich begleite dich nach Hause, wenn du nicht gerade im nächsten County wohnst.«
»Es ist nur eine Meile. Nördlich von Gratiot. Was früher das Kentucky-Viertel war. Nichts Besonderes. Eine Pension für alleinstehende Männer. Die Umgebung sieht etwas heruntergekommen aus.«
»Na und? Ich bin in einer heruntergekommenen Gegend groß geworden.«
Sie spazierten auf der Woodward vorbei an dunklen Bürogebäuden und erleuchteten Kneipen. »Wann wird dein Buch hier bei uns erscheinen?« fragte Carl.
»Du weißt davon?«
»Mama hat’s mir geschrieben.«
»Nächsten Winter.« Paul hatte das Buch mit Absicht nicht erwähnt. Carl führte offenbar ein ziemlich zielloses Leben, war nachgiebig gegen sich, ohne klare Vorstellungen von seiner Zukunft. Hätte er von seinem Buch gesprochen, hätte Carl es leicht als Prahlerei auslegen können. Paul mochte seinen Cousin zu sehr, um ihn zu kränken.
Da hätte er sich indes keine Sorgen zu machen brauchen. »Das freut mich. Ich werde es sofort nach Erscheinen lesen. Ich bin stolz auf dich. Die ganze Familie ist stolz.«
Carl hatte, was die Gegend anbetraf, nicht übertrieben. Auf
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