Fremde Gäste
war und daß Tony, seit sie erwachsen war, einiges über seine vielfältigen Abenteuer erfahren hatte; trotz alledem konnte ich ihn gut leiden. Er war ein typischer Ire, höchst charmant, und wenn es um Tony ging, stand er mir immer bei. Eine ernste Verantwortung für das Kind hatte er freilich nie übernommen, nachdem es von seiner Mutter davongelaufen und zu uns gekommen war. Doch er hatte stets liebevolle Anteilnahme an ihren mannigfachen Abenteuern gezeigt. Und als Tony glaubte, es müsse ihr wegen dem Arzt das Herz brechen, war er mit einem wundervollen Reisevorschlag zur Stelle.
Im großen und ganzen hatte sich Alistair, wenigstens was seine Tochter betraf, so anständig verhalten, wie man es von ihm erwarten konnte.
Nicht so seiner Frau gegenüber. Ich persönlich mochte Pauls Schwester nicht besonders, und ihre Besuche waren für mich immer eine Strafe; aber die Art, wie ihr Mann sie hintergangen hatte, konnte ich doch nicht gutheißen. In Wahrheit hatte sie wohl zuviel von ihm erwartet, und so war er ihr einfach davongelaufen. Er hatte ihr einen Scheidungsgrund gegeben, als sie es verlangte, Tony ihrer Obhut überlassen und war leichten Herzens seiner Wege gegangen. Als Tony dann bei uns lebte, ließ er sich’s angelegen sein, sie auf seinen Geschäftsreisen durch das ganze Land mitzunehmen. Ich hatte aber sehr den Eindruck, daß es ihm nicht so wichtig gewesen wäre, wenn sie nicht ein so hübsches und reizvolles Mädchen wäre.
Alsbald kam das Gespräch auf die Hochzeit. Tonys größter Wunsch war es, in der kleinen Kirche von Tiri getraut zu werden. »Hier müßte auch die Hochzeitsfeier stattfinden, Susan! Ich weiß, ein Mädchen sollte dort heiraten, wo seine Mutter wohnt. Aber stell dir vor: die Fahrt nach Melbourne und die Hochzeit dort unter lauter langweiligen alten Professoren, ohne eine einzige befreundete Seele! Das könnte ich einfach nicht!«
»Natürlich! Und das brauchst du auch nicht!« rief ich gerührt. Paul behauptet, daß ich schon mit meinen eigenen Kindern sehr zartfühlend umgehe, daß ich mich aber Tony gegenüber ganz närrisch gebärde. Ich glaube, er hat recht. Aber von dem Tage an, wo sie aus dem Planwagen des Lebensmittelkaufmanns vor unserem Tor ausstieg, fühlte ich, daß sie alle Liebe brauchte, die wir ihr nur geben konnten. Sie war so unglücklich, so verloren, und ich wußte, daß Paul genauso fühlte, wenn er es auch nicht zugab.
Ich glaube nicht, daß ich von Natur aus ein eifersüchtiger Mensch bin. Es hat mich nie bekümmert, daß meine beiden Schwestern hübscher sind als ich. An Larrys Schönheit habe ich mich immer gefreut; aber die Vorstellung, daß Claudia Tonys Hochzeit ausrichten könnte, gab mir einen seltsam schmerzhaften Stich. »Es ist vielleicht das Althergebrachte, Tony«, stimmte ich zu. »Meistens heiraten die Mädchen am Wohnort ihrer Mutter. Aber du bist schon so lange bei uns und nun hier daheim. Und Claudia wohnt so weit; sie hat so viele andere Interessen...«
»Ja, ja, die hat sie!« rief Tony aus. »Sie würde heulen bei dem Gedanken, meine Hochzeit ausrichten zu müssen. Für sie ist’s viel besser, wenn alles hier stattfindet. Dann kann sie kommen, wenn sie Lust hat. Oder sie kann ihren Bekannten erzählen, daß Antonia nun ein echter Kiwi geworden ist und einen neuseeländischen Schafzüchter heiratet.« Mit den letzten Worten imitierte sie die Stimme und die Redeweise ihrer Mutter so treffend, daß Peter und ich lachen mußten.
Peter rettete die Situation. »Ja, wirklich, nur um eine alte Sitte aufrechtzuerhalten, müßte man doch eine sehr weite Reise machen. Es wäre schon einfacher, wenn Mrs. Maclean hierherkäme.«
Sogleich überfiel uns der lähmende Gedanke, daß Claudia und ihr geschiedener Mann bei dieser Gelegenheit einem Wiedersehen nicht entgehen konnten. Tony mit dem ihr eigenen Mangel an Zurückhaltung brachte das zur Sprache.
»Du liebe Güte, daran habe ich noch gar nicht gedacht! Stellt euch vor, wie sie sich da begegnen und jeder so tut, als ob der andere Luft wäre. O Susan, das wird ein Spaß! Ich muß sagen, meine Heirat bringt besondere Sensationen mit sich.«
Paul sah mißbilligend drein, und als wir später allein waren, meinte er verdrießlich, es schicke sich nicht für eine Braut, so daherzureden. Selbstverständlich könnten Claudia und Alistair einander einmal wiedersehen — und dabei blickte er mich an, als ob er meine Zustimmung erwarte.
Ich antwortete nicht. Ein Wiedersehen zwischen Claudia und
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