Fremde Gäste
immer, daß es doch irgendwo wieder zum Vorschein kommen würde. »Aber wo?« fragte Anne, als ich diesen schwachen Wunsch gestand, und ich mußte ihr leider recht geben.
Doch das war nur der Anfang aller Aufregungen. Gleich nach Ablauf der folgenden Woche kam Larry bekümmert zu mir. »Denk nur, Susan, in unserer Gegend muß es einen Dieb geben! Sams Brieftasche ist verschwunden. Ich versuchte ihm einzureden, daß er sie irgendwo habe fallen lassen oder daß ich sie verräumt habe. Aber das war alles Unsinn. Wir erinnerten uns beide nur allzu gut, daß er sie am Freitagabend, als er heimkam, auf der Küchenbank hatte liegenlassen. Es war eine Menge Geld darin, aber zum Glück keine wichtigen Papiere. Irgend jemand muß während der Probe hereingekommen sein und sich mit der Brieftasche fortgeschlichen haben.«
Wieder einmal war die gesamte »Gang« zusammen gewesen, dieses Mal in Larrys Haus, und wieder waren alle dagewesen. Wir redeten eine Zeitlang hin und her und überlegten, wohin die Brieftasche auf unerklärliche Weise geraten sein mochte, aber das führte zu nichts. Wir verfielen wieder auf die Theorie eines vorbeiziehenden Halunken.
Doch schließlich hielt ich es für das beste, mit der Sprache herauszurücken, und erzählte ihr meine Erfahrungen. Ich fühlte mich nicht berechtigt, ihr auch die des Colonels mitzuteilen. Aber Larry erzählte, daß sie auf dem Heimweg Anne besuchen wolle, und so hoffte ich, daß sie dort auch von dem anderen Diebstahl hören würde. Dann mußte sie genau wie ich zu der Erkenntnis kommen, daß es nicht jedesmal ein Außenseiter hatte sein können.
Aber wer dann wohl? Die naheliegendste Antwort war: irgend jemand von den jungen Leuten, die immer wieder in unsere Häuser kamen und zu unseren besten Freunden gehörten. Das war eigentlich undenkbar, und ich wunderte mich nicht, als einige Tage später Larry ausrief: »Es kann doch unmöglich einer von der >Gang< gewesen sein. Alle sind so offen und harmlos und anständig. Überlege doch mal: Über die vier Mädchen brauchen wir uns nicht den Kopf zu zerbrechen. Dann Graham und Joe, beide ehrlich und freimütig und uns wohlgesonnen. Weiter: David und...«, sie zögerte einen Augenblick und sagte dann herausfordernd: »... und Tom. Ich könnte schwören, daß er es nicht war. Ach, Susan, werden das die Leute glauben — wegen der alten Dummheiten?« Sie klang ganz verzweifelt, und ich fühlte, daß Toms Rechtschaffenheit ihr ungeheuer viel bedeutete.
Und mir? Ich kannte ihn nicht so genau und hegte auch nicht solche Zuneigung für ihn wie Larry; bei ihr war diese auch noch mit einem starken Beschützerinstinkt verbunden. Ich mochte ihn gut leiden und glaubte, daß er über seine früheren Torheiten hinausgewachsen war. Ich war ehrlich bereit, ihm genauso zu vertrauen wie allen anderen. Doch fast gegen meinen Willen kam es mir über die Lippen: »Larry, ich habe dich schon einmal gefragt, ob es bei Tom sich immer nur um Autos gehandelt habe. An deinem Gesicht konnte ich damals sehen, daß es auch noch um andere Sachen gegangen ist, und hinterher schämte ich mich, daß ich dich gefragt hatte. Aber jetzt muß ich dich doch unverblümt fragen: Hat Tom gestohlen? Ich meine, andere Dinge gestohlen?«
»Susan, bevor ich dir antworte, denke bitte einmal nach. Wenn ein Junge einen Wagen stiehlt, warum tut er das? Doch weil er niemanden hat, der sich um ihn kümmert. Und natürlich schlittert er dann leicht auch in etwas anderes hinein. Ja, Tom hat sich ein paarmal etwas angeeignet. Er nahm nichts Wertvolles: eine alte Jacke, die in einem Kuhstall hing, einen Brotlaib und eine Flasche Milch vor einer Wohnungstür. In einer Farm zapfte er sich Benzin ab — ich glaube, das war alles. Lauter Kleinigkeiten, Susan! Kein Geld, und schon gar nicht von Leuten, die ihm vertrauten.«
Ihre Stimme zitterte, und ich fühlte, daß sie mir das alles nur widerwillig erzählte.
»Das sind ja nur Lappalien!« sagte ich rasch. »Das läßt sich nicht damit vergleichen, daß einer Geld stiehlt oder seine Freunde betrügt. Ich bin beinah genauso fest davon überzeugt wie du, daß Tom es nicht gewesen ist. Aber den anderen Leuten kann man es nicht verübeln, wenn sie glauben, daß er es doch war.«
Larry seufzte: »Wenn es erst herauskommt, werden sie alle auf Tom zeigen. Und das gerade jetzt, wo er sich mit seinem Rufus bei uns so glücklich und zu Hause fühlt.«
Larry, die meines Wissens sehr selten weint, war tatsächlich den Tränen nahe. Ich
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