Fremde Gäste
ganz wenige wissen von unseren Kümmernissen. Keiner mag glauben, daß Tom es war. Aber irgend jemand hat in letzter Zeit allerlei Unfug angerichtet.« Ich ließ das Ganze bewußt so vage klingen. David ignorierte das und sagte: »Wenn einer meint, daß Tom was mit diesen Diebereien zu tun hat, dann ist er ein Holzkopf.« Ich schnappte nach Luft. Er wußte also alles.
Er sagte nichts; der Zorn hatte ihm schier die Rede verschlagen. Ich mußte sprechen: »Es waren nicht nur Autos, David, geben Sie’s nur zu. Er hat auch andere Sachen genommen!«
»Na, was? Nichts von Bedeutung, eine alte Jacke und ein bißchen Benzin. Seien Sie doch nicht so kleinlich, Susan. Der Junge hatte kein Geld, er fror und hatte Hunger. Und er hat für alles gebüßt. Es ist gemein, wenn man ihm das wieder anlastet.«
»Aber das tun wir ja gar nicht. Das dürfen Sie nicht sagen. Aber da ist doch allerhand gestohlen worden — nur ein halbes Dutzend Leute wissen es, und...«
»Wenn Sie meinen, daß einige von uns Geld vermissen, dann ist es unsere eigene Schuld; weil wir es irgendwo liegenließen, wo es jeder finden konnte, der hereinkam.«
»Unsere Schuld? David, vermissen Sie etwa auch Geld?«
»Freilich. Ich wollte kein Geschrei machen. Jetzt haben Sie mich drangekriegt. Ja, ich vermisse ein paar Dollar; ich hatte sie auf dem Fensterbrett liegenlassen. Jeder konnte sie dort wegnehmen. Ein Dummkopf, der Geld aufs Fensterbrett legt, verdient, daß es verschwindet. Man sollte so was niemandem erzählen. Ich dachte erst am nächsten Tag wieder an das Geld. Inzwischen waren so ziemlich alle meine Bekannten mit irgendeiner Botschaft wegen dem blöden Theaterstück bei mir.«
»Alle Bekannten.« Da waren wir wieder. Gleichzeitig war nicht zu leugnen, daß Tom häufiger in Davids Zimmer war als irgendein anderer. Wenn aber David selbst der Dieb war, was konnte er Besseres tun, als vorzugeben, daß auch ihm Geld fehlte!
9
Plötzlich hatte sich in dieser vergnügten und geselligen Zeit Unruhe und Mißbehagen entwickelt. Obwohl wir es nicht wollten, wuchs das Mißtrauen und zerstörte unsere Freundschaft zu den jungen Leuten. Immer wieder wurden Diebstähle ausgeführt; manchmal änderte sich die Methode. Sobald ein Haus leer stand, schien es unvermeidlich, daß dort etwas abhanden kam.
Den Colonel traf es als ersten. Er mußte zu einer Versammlung nach Te Rimu fahren. Mr. und Mrs. Evans, das Ehepaar, das ihn versorgte, nahm die Gelegenheit wahr und fuhr mit ihm. Sie wollten sich dort einen Film ansehen, der gerade lief. Alle wußten das. Das war die große Schwierigkeit: Jeder wußte stets, was in den verschiedenen Familien vorging. Bei der letzten Probe im Haus des Colonels hatten wir von seinem Ausflug gesprochen. Wir hatten Mrs. Evans wegen ihrer leichten Zerstreutheit geneckt. Aber wenn wir auch nicht davon gesprochen hätten — jeder kannte die Pläne des anderen; wir waren einfach wie eine große Familie.
So war’s bisher gewesen. Jetzt war das alles gestört, und es war uns klar, daß sich mitten unter uns ein Feind befand. Einer dieser netten jungen Leute, die wir so freundlich in unserem Haus und in unser Herz aufgenommen hatten, hatte unsere Freundschaft ausgenutzt.
An jenem Abend hatte Mr. Evans, als sie abfuhren, das Haus so nachlässig verschlossen, wie man das auf dem Lande tut. Das Fenster zum Badezimmer stand offen. Als sie heimkamen, fanden sie Schmutzspuren auf dem Fensterbrett. Dreißig Dollar waren verschwunden, und was noch ärger war, auch Evans’ Gehalt, das er in bar erhalten hatte.
Es verstand sich von selbst, daß nun auch Evans und seine Frau bis zu einem gewissen Grad ins Vertrauen gezogen werden mußten. Der Colonel erzählte nicht im einzelnen von den früheren Verlusten; er sagte nur, daß wir ungern die Polizei benachrichtigen wollten. Evans nickte.
»Ja, Colonel, das täte nicht gut. Sie würden den jungen Burschen verdächtigen, der bei Mr. Lee wohnt. Jedermann weiß, daß er schon mal in der Klemme war, und sie würden annehmen, daß er auch jetzt der Täter sei.« Mrs. Evans war entsetzt. »Ach nein, Cyril, das können sie doch nicht. Er war halt früher ein dummer Bub, aber das ist überwunden; jetzt macht er sich so gut.« Sie zögerte und blickte den Colonel an. »Sie denken doch auch so, nicht wahr, Sir?«
Auch in unserer jetzigen demokratischen Zeit gebrauchen die beiden Evans die altmodische Anrede »Sir«, obwohl das manche Leute schockiert. Sie tun das nicht aus Unterwürfigkeit,
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