Fremde Gäste
Arbeitszeit! Arbeiten sie nicht von Tagesanbruch bis zur Dunkelheit?
Deshalb dachten wir, daß ihm ein solches Leben nicht zusagen würde. Wir
glaubten, daß jeder, der hier einen Job nimmt, ziemlich ausgenutzt wird .«
Wir mußten lachen. »Da seid ihr
aber wirklich hinter der modernen Zeit zurück !« stellte
Tantchen fest. »Farmhelfer sind heutzutage viel zu rar, als daß ihre
Arbeitgeber sie auszunutzen wagten. Sie würden ihnen auf und davon gehen. Die
Farmer selbst arbeiten gelegentlich wohl, ohne auf die Uhr zu schauen, und ihre
Leute dann auch. Aber der Colonel ist in diesen Dingen übergenau. Er führt
seine Farm nach militärischen Prinzipien: Um acht Uhr morgens gehen seine Leute
ans Werk, um fünf Uhr oder nur wenig später kommen sie heim. Wenn du jetzt
gehst, kannst du David gerade erwischen. Larry und Susan können dir den Weg
zeigen. Und jetzt mache ich dir einen Vorschlag, Diana: Bring doch deinen Sohn
mit hierher zum Essen, und du bleibst bei mir über Nacht. Susans Nichte Tony
kommt auch. Mit ihr gibt es selten ein ernsthaftes Gespräch. Aber nach dem
Essen könnt ihr, du und David, euch hier ungestört unterhalten. Meine andere
Helferin geht zum Essen heim zu ihrer Mutter; dort wohnt sie auch .«
»Vielen Dank, La... ich meine
Anna. Welches von den Mädchen ist Ihre Nichte, Mrs. Russell? In dem Supermarkt
sah ich zwei; sie haben mich hierher gewiesen. Beide sind sehr anziehend; die
eine ein hübsches junges Geschöpf mit schönen roten Haaren. Die andere ist eine
klassische Schönheit, dunkelhaarig, mit ebenmäßigen Zügen und einer Stimme, die
es verdiente, von einem Dichter besungen zu werden .«
»Die Rothaarige ist Tony, die
andere heißt Miranda«, erklärte ich. »Ich muß Ihnen recht geben: Tony ist
hübsch und sehr attraktiv; Mirandas Antlitz aber könnte man in Rom suchen. Und
dazu diese Stimme! Ihre Mutter ist reizend, obwohl durch ein schweres Leben
früh gealtert. Ihr Vater entstammte einer hochangesehenen Familie; seine
Herkunft war allerdings das Beste an ihm. Er heiratete die bezaubernde Frau,
die zu einem Viertel Maoriblut hat. Sie umsorgte ihn bis zu seinem Tod, der zum
Glück noch eintraf, ehe sie völlig erschöpft war. Der arme Kerl hatte im Krieg
viel mitgemacht, deshalb sollte man ihn nicht zu hart beurteilen. Aber er war
selbstsüchtig und faul, wenn auch höchst charmant. Diesen Charme hat Miranda
geerbt, seine anderen Eigenschaften aber nicht .« Richtig geschwätzig erzählte ich das alles; Miranda war ein Thema, das die
meisten Leute interessierte, nicht nur die Männer. Tony war gewiß allerliebst,
Miranda jedoch eine klassische Schönheit. Es war charakteristisch für Tony, daß
sie jeden neuen Kunden, der den Laden betrat, auf Miranda aufmerksam machte.
Tantchen seufzte. »Sobald Tony
verheiratet ist und Miranda unter ihren zahlreichen Verehrern gewählt hat,
suche ich mir eine nette einfache Frau mittleren Alters zu meiner
Unterstützung. Einstweilen freue ich mich an den beiden jungen Dingern und
ihren Liebesgeschichten. Aber ich werde nun doch zu alt für ein Heiratsbüro,
und was Miranda betrifft... Nun, sie kann wirklich nichts dazu; Tony sagt, daß
sie keinen besonders ermutigt .«
Auch wir anderen mußten
zugeben, daß Miranda wie ein Magnet wirkte. Der Supermarkt florierte dadurch,
aber auch Tantchens Gefühl für ihre Verantwortung wuchs zusehends.
Mr. Hepburn, der seine Frau nur
widerstrebend in diese gottverlassene Gegend hatte fahren lassen, wurde
telefonisch benachrichtigt; sie werde bei Tantchen übernachten und erst am
nächsten Morgen heimfahren. Vielleicht würde sie dann etwas über Davids weitere
Zukunftspläne erfahren haben. Larry und ich brachten sie zu dem Haus des
Colonels, wünschten ihr viel Glück und fuhren nach Hause. Wir dankten unserm
Schöpfer, daß unsere eigenen Söhne erst elf und sieben Jahre alt waren.
Als Tony am nächsten Wochenende
zu uns kam, hatte sie viel über Diana Hepburn zu berichten. »Sie ist so, wie
sich die meisten Jungen ihre Mutter wünschen würden: freundlich und vernünftig,
weder aufgeregt noch trübselig. David hat Glück. Er sollte andere Mütter kennen...«
Tony dachte jetzt wohl an ihre
eigene schwierige Mama. »Aber David ist ein Ekel, er ist so unfreundlich,
dauernd zeigt er, daß er am liebsten keine Eltern hätte. Lieber wäre er wohl in
einer Retorte geboren worden! Das Ulkigste war seine Angst, Tantchen könnte
verwandtschaftliche Gefühle von ihm erwarten. Aber das lag ihr völlig fern.
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