Fremde Schiffe
wimmelte es an Deck von ausländischen Seeleuten. Dann tauchten die nevanischen Soldaten auf, die sich verschlafen die Augen rieben. Zwei Matrosen sprangen ans Steuer, die anderen stürmten zu den Tauen. Sie redeten so schnell, dass er sie nicht verstand.
»Was ist? Wer hat Alarm …« Graf Sachu eilte herbei; das Deck dröhnte unter seinen schweren Schritten. Bis auf die Stiefel trug er nur ein langes Hemd. In der rechten Hand hielt er das Schwert, in der linken den Dolch. Mit einem Blick erfasste er die Lage und brüllte Befehle. Die Männer am Steuer riefen ihm etwas zu und er antwortete mit schallender Stimme. Zu Ansas Erstaunen verließen sie das Steuer, als die Männer in der Takelage alle Segel bis auf jenes einholten, das am Hauptmast hing. Langsam drehte sich das Schiff dem Wind entgegen.
»Ich habe die Glocke geläutet«, sagte Ansa.
Sachu gesellte sich zu ihm. »Was ist geschehen.«
Mit wenigen Worten beschrieb Ansa, was er gesehen hatte. Bei jedem Wort verfinsterte sich Sachus Miene mehr und mehr. Trotz des Mondlichts sah Ansa, wie er unter der Sonnenbräune kreidebleich wurde. Als er sich bückte und die Ketten aufhob, schien er am Boden zerstört.
»Goss!« Es klang wie ein Fluch. »Das ist sein Werk! Der Verräter! Während der ganzen langen Reise hat er meine Anweisungen in Frage gestellt, sich widersetzt …« Er stieß furchtbare Flüche aus, die Ansa nicht verstand.
»Was hat er getan?«
Der Kapitän zwang sich zur Ruhe. »Er hat meine Männer bestochen. Die Hälfte der Wachen gehörte zu ihm.«
»Aber warum?«
»Er ist eifersüchtig. Er denkt, er steht dank seiner Herkunft über mir. Er findet, das Kommando der Expedition hätte ihm gebührt. Unsere Familien rivalisieren seit vielen Generationen miteinander.«
»Aber was erhofft er mit dieser Sache zu erreichen?«
»Ich glaube, ich kann seinen hinterlistigen Gedanken folgen. Auf den Inseln versuchte er, unter vier Augen mit der Frau zu reden, aber ich verhinderte es. Sie und ihr Mann sind unglaublich reich und dank ihrer Krieger besitzen diese Wilden große Macht. Die Nevaner machen uns für die Seuche verantwortlich, während die Insulaner verschont blieben. Er verspricht sich große Vorteile von einem Bündnis mit ihnen. Er glaubt, damit würde er vor unserer Königin als der wahre Leiter der Expedition dastehen und ewigen Ruhm erringen.«
Sachu wies nach achtern. »Siehst du? Sie hat beigedreht und segelt nach Norden. Die Schwimmender Vogel ist sein eigenes Schiff. Sein Bruder ist der Kapitän und die Mannschaft besteht aus seinen Getreuen. Ich versuchte, das zu verhindern, aber er besitzt bei Hofe großen Einfluss. Diesen Plan hat er ausgearbeitet.«
»Wirst du ihn verfolgen?«
Sachu schüttelte den Kopf. »Das wäre nutzlos. Er hat unser Steuerseil zerschnitten. Die beste Methode, ein Schiff lautlos außer Gefecht zu setzen. Es dauert Stunden, bis der Schaden behoben ist. Bis auf das Besansegel habe ich alle Segel einholen lassen, um den Bug zum Wind zu drehen.« Er seufzte betrübt. »Ihre Majestät wird sehr zornig sein. Ich werde ihn bei Hofe als Verräter entlarven und seine Hinrichtung fordern, aber vielleicht bin ich es, der im Kerker landet.«
»Du könntest ihn mit dem letzten Schiff verfolgen«, schlug Ansa vor.
»Die Schwimmender Vogel ist unser schnellstes Schiff. Selbst wenn wir sie einholen, wäre es zu spät, um noch vor der Sturmzeit heimzukehren. Wir müssen weiter.«
»Glaubt er, deine Königin wird lieber mit den Barbaren als mit Shazad von Neva verhandeln?«
Sachu warf ihm einen langen, ernüchternden Blick zu. »Wenn alles so läuft, wie er es plant, ist Larissa bereits Königin von Neva, wenn er mit Schätzen beladen in die Heimat zurückkehrt.«
Bei Sonnenaufgang waren die angerichteten Schäden behoben und die Schwimmender Vogel befand sich längst außer Sichtweite. Alle Bitten Ansas brachten Sachu nicht dazu, nach Norden zu segeln und Shazad vor der Katastrophe zu warnen.
»Am besten begibst du dich zu einer Werft und nimmst dir den schnellsten Kutter.«
»Vielleicht sind sie alle bei der Flotte!«
»Dann suche dir den schnellsten Frachter aus«, antwortete Sachu unnachgiebig.
Die folgenden Stunden waren für Ansa eine Qual. Er humpelte an Deck auf und ab und schwang die Arme, um die verspannten Muskeln zu lockern. Anscheinend durfte er sich doch nicht in Ruhe erholen.
Am Spätnachmittag erreichten sie den Hafen. Die sonst so schöne Stadt erschien ob des grauen, wolkenverhangenen Himmels
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