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Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Fremde Schwestern: Roman (German Edition)

Titel: Fremde Schwestern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Ahrens
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hätte bei ihm bleiben sollen, dann wär’s uns besser ergangen.«
    »Aber ich hätte kein Äffchen bekommen.«
    »Dafür vielleicht einen Hund.«
    »Ein Äffchen ist schöner.«

    Beim Essen erzählt Lydia von ihren Plänen für die Zeit nach der Operation. Eine Ausbildung als Erzieherin will sie machen, will in einem Kindergarten arbeiten. Merle ist begeistert. Ich schweige.
    »Was meinst du?«, fragt Lydia und sieht mich eindringlich an. »Schaffe ich das?«
    »Wenn du’s wirklich willst.«
    »Mit Kindern kann ich malen, singen, tanzen, Theater spielen, Geschichten erzählen.«
    »Alles was du mit mir auch immer machst«, ruft Merle.
    »Ich habe mit einer Frau vom Sozialamt telefoniert«, sagt Lydia. »Es gibt einen europäischen Sozialfonds, der Schulungen bewilligt für Leute wie mich, die noch nie eine Ausbildung gemacht haben. Meine Chancen stehen nicht schlecht, allerdings müsste ich den Realschulabschluss nachholen.«
    »Es wäre schön, wenn du die Ausbildung machen könntest«, sage ich und stehe auf, um den Tisch abzuräumen.
    Damals war es Lydia völlig egal, ob sie den Abschluss bekam oder nicht. Ich zweifele, ob sie es schaffen wird. Vielleicht tue ich ihr unrecht. Sie hat sich konkret informiert. Das ist mehr, als sie früher jemals unternommen hätte.

    Merle liegt im Bett. Lydia hat das Wiegenlied mit ihr gesungen.
    Jetzt sitzt sie auf meinem Sofa und möchte etwas von mir lesen. Ich gebe mir einen Ruck. Die Redakteurin hat sehr positiv auf die erste Drehbuchfassung meines Babyhandel-Krimis reagiert. Ich kann es verantworten, Lydia den Text zu zeigen.
    Lydia liest. Ich halte es nicht aus, gehe in die Küche. Es riecht nach Curry und anderen intensiven Gewürzen. Kein Frühstücksgeruch. Ich reiße das Fenster auf, stelle die Spülmaschine an, wasche Töpfe ab, scheuere mit Hingabe den Herd.
    Ich gehe ins Wohnzimmer zurück. Lydia blickt nicht hoch. Ich vertiefe mich in die Süddeutsche Zeitung, studiere das Hörfunk- und Fernsehprogramm der kommenden Woche, markiere einige Sendungen mit einem Farbstift.
    Wie wird Lydia auf meine Darstellung der beiden Frauen reagieren? Leontina, die leibliche Mutter, der man das Kind weggenommen hat. Frau Cordes, die das Baby käuflich erworben hat. Ich habe entschieden, dass Frau Cordes im Handgemenge ihren Mann mit der Whiskeyflasche erschlägt, die Leontina treffen sollte.
    Lydia hat sich zurückgelehnt. Ihre Augen sind geschlossen. Ist sie eingeschlafen?
    »Die Geschichte hat mich sehr berührt«, sagt Lydia leise.
    Mein Puls schlägt schneller.
    »Es gefällt mir, dass es zwischen Täter und Opfer keine klare Grenze gibt. Täter können zu Opfern werden und umgekehrt. Anfangs habe ich mich stärker mit Leontina identifiziert, aber als ich begriffen habe, wie sehr Frau Cordes unter ihrer Kinderlosigkeit gelitten hat und dass dieses Baby ihr mehr als alles auf der Welt bedeutet, da war sie mir auf einmal sehr nahe.«
    Wir sehen uns an. Ich senke als Erste den Blick.
    Lydia steht auf, geht in die Küche, kommt mit einem Glas Wasser zurück.
    »Judith war gestern für mich im Internet-Café. Ich habe sie gebeten, etwas zu recherchieren. Alles was mit Lebertransplantationen zusammenhängt.«
    »Das hätte ich für dich tun können.«
    »Ich wollte dich damit nicht belasten. Es ist eine sehr schwere Operation, eine der schwersten überhaupt.«
    »Ich weiß.«
    »In der Klinik haben sie mir das natürlich auch gesagt … und dann hatte ich diesen schrecklichen Traum, in dem ich verblutet bin … seitdem habe ich den Gedanken an die Operation immer verdrängt … Ich habe sowieso lange gedacht, dass ich den Tag nie erleben werde …«
    »Aber jetzt sieht es doch ganz gut aus.«
    »Ja, die Ärztin meinte neulich, dass ich eine starke Konstitution hätte.«
    »Sonst wärst du schon vor Jahren zusammengebrochen.«
    »Trotzdem … Bei der Operation kann viel schiefgehen.«
    »Denk nicht daran.«
    »Ich muss daran denken, weil ich eine Tochter habe.«
    Plötzlich weiß ich, worauf Lydia hinauswill.
    »Würdest du für Merle sorgen?«
    »Ja.«
    Lydia beginnt zu weinen. Sie habe Angst, solche Angst, vor der Operation und der Zeit danach. Manchmal werde das neue Organ gleich wieder abgestoßen. Da könnten Medikamente gegeben werden, aber es gebe auch andere Komplikationen, bei denen gleich wieder operiert werden müsse.
    »Ob ich den Druck aushalten kann …«
    Ich nehme sie in die Arme, sage ihr, dass sie in guten Händen sei. Die Ärzte würden alles

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