Fremde Schwestern: Roman (German Edition)
dass ich diese Art nicht länger hinnehmen werde.
Lydia und Judith besitzen außer ihrer Kleidung kaum persönliche Dinge.
Nach einer halben Stunde sind wir mit dem Umzug fertig.
Katja bedankt sich bei beiden. Lydia nickt ihr nur kurz zu. Trotzdem hat sich die Atmosphäre entspannt.
Den Nachmittag verbringen wir bei Hagenbeck. Es war Merles Wunsch. Merle begrüßt ihr Äffchen, macht es mit Bakul bekannt. Lydia lacht und sagt noch einmal, dass dieses Äffchen ein wunderbares Geschenk sei.
Abends telefoniere ich mit Esther, erzähle ihr von dem Zimmertausch.
»Weißt du, dass Merle damals recht hatte?«, sagt Esther, als ich schon auflegen will. »Es hat Ann-Kristin von vornherein nicht gepasst, Merle etwas zu leihen. Ich habe sie dazu überredet, weil ich fand, dass sie ruhig mal was abgeben könnte.«
Bei dem Gedanken an die geliehene Kleidung sehe ich plötzlich Merle im geringelten Badeanzug vor mir, wie sie ihre Stoffserviette auf die nackten Beine legt und mit mir das heute-journal anschaut. Gut drei Monate sind seit jenem ersten Tag mit ihr vergangen. Es kommt mir vor, als seien es drei Jahre.
Merle ruft mich. Sie hat schlecht geträumt.
»Mama war böse mit mir, weil ich sie beim Rauchen erwischt habe.«
»Und dann?«
»Hat sie gesagt, dass sie machen kann, was sie will.«
Merles Wangen sind rot und heiß. Hat sie Fieber?
»Tun dir die Augen weh?«
»Nein.«
»Irgendwas anderes?«
»Mama soll nicht rauchen.«
»Mach dir keine Sorgen. Bald ist alles wieder gut.«
Merle sieht mich an, als prüfe sie, ob ich selbst an meine Worte glaube. Ich nicke wie zur Bestätigung und hebe Bakul auf, der auf den Boden gefallen ist. Merle drückt ihn an sich.
»Vielleicht schaffst du es, Mama vom Rauchen abzubringen.«
Das schafft niemand, denke ich.
Um Viertel nach elf kommt Jan. Er hat seit heute einen Schlüssel.
Es stört mich nicht, dass er vorher nicht angerufen hat. Auch da hat sich etwas gelöst.
32.
I ch rufe Lydia an, will hören, wie sie geschlafen hat.
»Gut.«
»Was sagt Chris? Ist er enttäuscht, dass ihr nicht zu ihm zieht?«
»Nein, das wäre eine Notlösung gewesen. In seiner Wohngemeinschaft ist nicht genug Platz. Wir werden uns eine Wohnung suchen, in der Nähe von Merles Schule.«
»Wann kommt er zurück?«
»Heute Mittag.«
»Jan fragt, ob wir am nächsten Wochenende mal zu viert essen gehen wollen.«
»… Ja …«
»Oder habt ihr schon was vor?«
»… Ich glaube nicht …«
Später denke ich darüber nach, warum Lydia so vage geklungen hat. Vielleicht hat Chris kein Interesse an einem Kontakt mit Leuten wie Jan und mir. Oder Lydia will sich offenhalten, wie sie das Wochenende verbringen.
Statt der Spielgruppe gibt es nachmittags ein Geburtstagsfest bei Elisa. Merle hat ihr einen Gutschein gemalt, für einen gemeinsamen Besuch bei Hagenbeck.
»Super!«, ruft Elisa.
Als ich Merle abholen will, bittet mich Elisas Mutter zu einem Kaffee herein. Im Wohnzimmer sitzen acht Mütter bei adventlicher Beleuchtung. Ich esse Zimtsterne, lausche dem Gespräch über Ballettschulen, Schwimmunterricht, Geigenstunden. Und natürlich Weihnachten. Festtage im Kreis der Familie. Oder dem Rummel entfliehen. Malediven. Schweizer Alpen.
»Was haben Sie für Pläne?«, fragt meine Nachbarin zur Linken.
»Merle und ich werden in Hamburg sein.«
»Mein Sohn hat mir erzählt, dass Merle in Indien gelebt hat«, sagt eine andere.
»Ja.«
»Ihre Mutter war schwerkrank, oder?«
»Sie ist auch immer noch nicht gesund. Deshalb lebt Merle zurzeit bei mir.«
»Alle lieben Merle«, sagt eine Dritte. »Sie ist so aufmerksam und verantwortungsbewusst. Man merkt ihr an, dass sie einiges mitgemacht hat.«
Wie viel hat Merle Ihnen erzählt?
»Angeblich hat sie in einer Hütte gewohnt, mit einem kleinen Affen als Haustier.«
»Ja.«
»Was ist Ihre Schwester von Beruf, wenn ich fragen darf?«
»Sie … hat so dies und das gemacht … In Nepal war sie zuletzt als Köchin beschäftigt …«
»Aha … und die Krankheit, die sie hat … Ist das was Ansteckendes?«
»Merle ist in der Klinik getestet worden. Sie ist zum Glück völlig gesund. Es besteht also keine Gefahr für die anderen Kinder.«
»Was hat ihre Mutter denn?«
»… Hepatitis C.«
»Ach, du meine Güte.«
Mir kommt es vor, als ob meine Nachbarin ein Stück von mir abrückt.
Kurz darauf verabschiedet sich die erste Mutter. Bald gehen auch die anderen. Werden sie ihren Kindern verbieten, mit Merle zu spielen?
»Tut mir
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