Fremden Kind
Keeping war im Wohnzimmer und bereitete die Getränke zu. »Für dich das Übliche, Darling?«, rief er durch die Terrassentür nach draußen.
»Unbedingt!«, sagte Mrs Keeping, lachte verkniffen und schüttelte den Kopf, als wollte sie sagen, den Drink habe sie sich verdient. Sie thronte auf einer Holzbank und riss die Zellophanverpackung einer Schachtel Kensitas auf.
»Und was ist mit Daphne?«
»Gin mit!«, rief Mrs Jacobs, als nähme sie an einem Spiel teil.
»Groß?«
»Riesengroß!«
Paul und Jenny lachten darüber, doch Mrs Keeping konnte dem wenig abgewinnen. Mrs Jacobs saß Paul unmittelbar gegenüber, zwischen ihnen ein niedriges Mosaiktischchen aus Eisen. Über die Tischkante hinweg führte Pauls Sichtachse, hätte er sie weiterverfolgt, unmittelbar in die beigefarbenen Mysterien von Mrs Jacobs’ Unterwäsche. Mit ihrem unförmigen Sommerkleid und dem breiten Schlapphut wirkte sie wie in sich zusammengefallen, ihre Miene dagegen war freundlich und hellwach, wenn ihr aufgrund ihres Alters und einer möglicherweise leichten Schwerhörigkeit auch manches entging. Sie trug eine Brille mit großen Gläsern, unten randlos, oben geschwungen wie die Augenbrauen eines Waldkauzes. Als das Getränk vor ihr auf dem Mosaiktisch abgestellt wurde, lachte sie es breit, aber abgeklärt an, als wüsste sie nur zu gut, was daraus werden würde. Mit dem Lachen zeigten sich ihre überraschend braunen Zähne – ein Raucherlächeln, das von einer Raucherstimme begleitet wurde. »Na dann, Prösterchen!«
»Prost.« Mr Keeping setzte sich; er trug noch immer seinen Bankdirektoranzug, was den sehr großen Gin Tonic in seiner Hand irgendwie befremdlich erscheinen ließ.
»Prösterchen«, sagte Jenny.
»Was trinkst du da, Kindchen?«, fragte Mrs Jacobs.
»Ach, nur Cider, Granny.«
»Ich wusste gar nicht, dass du Cider trinkst.«
»Ich trinke ihn nicht gerade rasend gern, aber Alkohol darf ich noch nicht, und mit irgendwas muss man sich ja betrinken, oder?«
»Da könntest du recht haben«, sagte Mrs Jacobs, als gelte es, eine völlig neue Theorie zu bedenken.
»Paul hat gerade bei uns in der Bank angefangen, Daphne«, sagte Mr Keeping. »Er ist aus Wantage zu uns gekommen.«
»Oh, ich liebe Wantage«, sagte Mrs Jacobs und ergänzte kurz darauf: »Einmal bin ich sogar nach Wantage ausgebüchst.«
»Mutter, ich bitte dich«, sagte Mrs Keeping.
»Nur für ein, zwei Nächte, als euer Vater mal wieder besonders gemein war.« Noch nie hatte Paul jemanden so reden hören und konnte im ersten Moment nicht einschätzen, ob es echt oder gespielt, ausgesprochen kultiviert oder schlichtweg peinlich war. Er sah zu Mrs Keeping, die mit mühsam beherrschter Ungeduld verkniffen lächelte und geziert mit den Wimpern klimperte. »Ich habe mir Wilfie und dich geschnappt und bin wie eine Wahnsinnige nach Wantage gerast. Wir sind für ein paar Tage bei Mark untergekrochen. Mark Gibbons, wissen Sie«, sagte sie zu Paul, »dem wunderbaren Maler. Wir sind bei ihm geblieben, bis sich die Stimmung zu Hause etwas abgekühlt hatte.«
»Na ja«, murmelte Mrs Keeping und zog an ihrer Zigarette.
»Doch, Darling. Wahrscheinlich warst du noch zu jung, um dich daran zu erinnern.« Sie hörte sich leicht gekränkt an, aber so, als wäre sie das gewohnt.
»Du konntest gar nicht Auto fahren, Mutter«, fuhr Mrs Keeping lebhaft fort, unfähig, sich zurückzuhalten.
»Selbstverständlich konnte ich Auto fahren …«
Angestrengt heiter stieß Mrs Keeping den Zigarettenrauch aus. »Wir wollen Mr Bryant nicht mit unseren Familiengeschichten behelligen«, sagte sie.
Paul, noch im ersten angenehmen Schwindelgefühl des sehr starken Gin Tonic, lachte, zog den Kopf ein und bekundete, dass ihm das Durcheinander aus fremden Namen und Fakten nichts ausmache. Wie häufig in Gesellschaft älterer Leute, langweilte er sich, gleichzeitig fühlte er sich betroffen, wofür er keine Erklärung hatte. »Ich bitte Sie«, sagte er und grinste Mr Keeping an, der die Szenerie mit verwunderter Contenance begutachtete. Der Abend war zu einem Abenteuer angewachsen, wie es vor einer Stunde unvorstellbar schien.
»Weißt du, ich finde unsere Familie tatsächlich sehr interessant«, sagte Mrs Jacobs. »Du unterschätzt das. Du solltest stolz darauf sein.« Sie fasste neben ihren Stuhl und hob ihre Tasche auf, die große Teppichtasche mit Holzbügeln, die Paul vorher schon mal gesehen hatte. Sie fing an, darin herumzukramen.
Mrs Keeping seufzte versöhnlich. »Auf ein paar
Weitere Kostenlose Bücher