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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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Freiheit, sich auch abgedroschener Methoden bedienen zu dürfen, gehörte zu den Annehmlichkeiten, als Lehrer an einer Privatschule zu unterrichten. Eine große Arglosigkeit ließ sich damit anzapfen, selbst bei den Mürrischen und Pickligen unter den Jungen, den nächtlichen Lesern von Peyton Place . Peters Blick ging an ihnen vorbei durch das geöffnete Fenster, auf die Felder und Wälder, die im Dunst lagen. Zutiefst schämen würde er sich, wenn Chris oder Charlie oder ein anderer seiner Londoner Freunde sehen könnte, wie er sich hier aufführte, aber die Jungen liebten es, eindeutig.
    »Dasselbe bitte in Tonleitern«, sagte er, schlug am Klavier das A unter dem eingestrichenen C an und setzte hemmungslos in seinem breiten Bariton an: »Ja! Ja! Ja! Ja! Ja! Ja! Ja! Sir! « Die Jungen fielen in den Gesang ein, kletterten unerbittlich die Tonarten hinauf, rasch repetierte Höhepunkte der Zustimmung, die schon bald nur mehr hinausgebellte Silben waren.
    Danach gab er den Auftakt zu »Die schmucke Arethusa« – »Seite 37, wie ihr mittlerweile sicher auswendig wisst …«, und während sie noch emsig im Buch blätterten, stimmte er mit Hochgenuss den ersten Vers an: »Matrosen kommt und lasst uns ziehn, Mit unsren Herzen heiter und kühn Ziehn wir für Englands Ruhm dahin«, gab sich gebührlich heiter und kühn, schüttelte den Kopf, zog für den feierlichen tonalen Abstieg hin zu »Englands Ruhm« das Kinn an die Brust und schmetterte schließlich, mit vollem Risiko, sich lächerlich zu machen: »Ein Hoch der Arethusa!« Er hätte ihnen den ganzen Tag vorsingen können. Eine Hand flog in die Luft, Peebles Sensibel, wie Colonel Sprague ihn nannte, hatte kein Buch. »Benutz deinen Grips und guck bei Ackerly mit rein!« Weiter ging es im Takt. Ein Missklang war zu hören, eine Sache, mit der Peter rechnen musste, aber er hielt es für besser, erst noch abzuwarten. Vorerst jedenfalls korrigierte er es noch nicht, Hauptsache, die Jungen blieben in Schwung. »Kein Segel, kein Spier, kein Tau fehlte ihr …« In diesem Schuljahr hatten sie das Lied jede Woche gesungen, und sie konnten es mit ihrem ganzen unbedarften Frohsinn hinausschmettern; er selbst war es, stirnrunzelnd über die Tasten gebeugt, der manchmal vergaß, wo sie waren, und wütend mit einem falschen Text in den Gesang einfiel. »Und trieben den Feind weit vor uns her, Dass er nicht kämpft mit Briten mehr« – ein verwegenes Auftrumpfen, das umgehend von einem immensen brachialen Basslaut am Himmel übertönt wurde, weit weg und doch direkt überm Haus, sodass der Raum bebte und das Klavier ein schwaches Klimpern von sich gab. Sie brachen abrupt ab, stürmten ans Fenster, doch das Flugzeug war so weit über ihnen und bewegte sich so rasend schnell, dass sie nichts erkennen konnten. Umso schlagkräftiger und beispielhafter war der wissenschaftliche Aspekt des Ganzen. Unten in der Hintereinfahrt stand der Schuldi rektor und blickte in den Himmel über den Baumwipfeln; die Oberlippe hatte er, während er ins Blau blinzelte, hoch gezogen wie ein Biber. »Na kommt, zurück auf eure Plätze«, mahnte Peter, bevor der Direktor es tat, obwohl angesichts eines so erhabenen Phänomens allseitiges Staunen durchaus angebracht schien.
    »Haben Sie das gesehen, Sir?«, rief Brookings hinunter. Der Direktor schüttelte mit einem verschlagenen Lächeln den Kopf, als hätte er mit seinem Gewehr die Maschine nur um Haaresbreite verfehlt. Peter lehnte sich über die Köpfe der drei Jungen, die sich in dem offenen Flügelfenster quetschten, hinaus. Er hielt den Direktor für einen Trottel, wollte sich aber auch nicht vor ihm blamieren, und der Direktor fand Fehlverhalten noch in Dingen, wo man es nie vermutet hätte. Er sammelte Zigarettenkippen auf und grübelte angestrengt, wenn er etwas missverstanden hatte. Peter war ein junger Lehrer, altersmäßig den Schülern näher als der Direktor ihm. Im Ton des Älteren schwang gelegentlich die Unterstellung mit, auch auf Peter müsse man ein Auge haben.
    »Sie haben mich darüber informiert, dass so etwas vorkommen könnte«, sagte er; irgendwie schien es leicht absurd, so etwas zu einem Fenster im Erdgeschoss hinaufzurufen.
    »Ach ja, Sir?«
    »Ja, ja. Ich stehe mit dem Kommandeur des Stützpunktes in Verbindung. Er hält mich auf dem Laufenden.«
    »Was war es denn, Sir?«, wollte Brookings wissen.
    Der Direktor blickte wieder mit leutseligem Besitzerstolz zum Himmel. »Marsch, marsch, zurück auf eure Plätze!«, sagte er,

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