Fremden Kind
Anlass für Witze, solche Witze, die es ihnen erlaubten, ihn zum Gesprächsgegenstand zu machen. Paul gestattete sich solche Freiheiten nicht. Als sie Geoff wegen Sandra aufzogen, des Mädchens von der National Provincial, war es Paul, der rot wurde und dessen Pulsschlag aufgrund der allgemeinen Neugier im Raum plötzlich anfing zu rasen. Er stellte sich vor, von Geoff geküsst zu werden, plötzlich und unausweichlich, auf der Herrentoilette der Bank, und dann würde Geoff … »Wir öffnen!«, rief Hannah, als die Eingangstür aufgeschlossen wurde, und mit flatternden Nerven richtete Paul sich auf seinem Hocker auf und legte die gefalteten Hände auf die Schaltertheke.
Sein erster Kunde war ein Farmer, der einen Scheck einlöste und eine große Summe abhob, die Gehälter für seine Männer. Freitags wurden vermehrt Lohnzahlungen getätigt und Wocheneinnahmen deponiert, und während er manchmal fünfzig bis sechzig Schecks buchen musste, bildeten sich erschreckend lange Schlangen. Es konnte vorkommen, dass Hunderte Pfund auf einen Schlag durch sein Schalterfenster gereicht wurden. Der Farmer George Hethersedge behandelte ihn wie einen dummen Jungen, offenbar nur deswegen, weil er ihn noch nie hier gesehen hatte. Irgendwie gab er Paul zu verstehen, er werde auf diesen Moment der Ahnungslosigkeit noch einmal reumütig und peinlich berührt zurückblicken. Paul dachte sich schon, während er die Scheine zählte und die Schecks auf seiner Rechenmaschine addierte, dass der Name Hethersedge hier von Bedeutung war, seinen Platz und sein Gewicht im Lichte wie im Schatten der Lokalpolitik hatte. Wie bei vielen dieser örtlichen, aus Pflanzenbezeichnungen zusammengesetzten Namen war damit auch eine erschreckend hohe Kontoüberziehung verbunden. Und Paul machte sich klar, wie seltsam es eigentlich war – im normalen gesellschaftlichen Umgang –, dass er den Schuldenstand des anderen kannte. Diese soziale Verlegenheit schien ihrer beider beruflichen Beziehung zugrunde zu liegen.
Hinter Mr Hethersedge, von ihm beinahe verdeckt, stand eine alte Dame, Miss M. A. Lane. Ihre Hand zitterte, einen Scheck über zwei Pfund einzulösen schien sie bereits zu überfordern. Sie linste durch den groben Schleier vor ihrem Hut und sah Paul an. Er mochte alte Leute, und er genoss ihren unterwürfigen Respekt, ja, die Scheu vor ihm als einem gewieften, geistesgegenwärtigen Bankangestellten. Nächster in der Reihe war Tommy Hobday, der Apotheker von nebenan, der ständig ein und aus ging und Paul mit Namen anredete. Danach stumpfte er ganz allmählich ab gegen den kleinen Schock, den das Neue und diese Kontakte verursacht hatten, und seine Furcht vor Fehlverhalten oder Bloßstellung verblasste zunehmend in der Routine eines sehr anstrengenden Tages. Vor der Eingangstür befand sich ein kleiner Windfang mit einer zweiten Glastür, die eine stark gespannte Schließfeder hatte – das Einrasten und Zurückschnellen der Feder kündeten von dem unaufhörlichen, unrhythmischen Kommen und Gehen der Kunden.
Kurz vor der Mittagspause hörte Paul eine Stimme in der Schalterhalle und spürte, dass sie von einer Aufregung im Raum begleitet wurde. Miss Cobb tauchte jetzt auf und sagte etwas in einem ungewöhnlich heiteren Ton, wie ein Partygast. Dann wieder die andere Stimme, schneidend, herablassend, natürlich, Mrs Keeping – »Nein, nein, das ist wirklich nicht nötig« –, die vorgab, keine Aufmerksamkeit zu verlangen; andere Kunden sahen sich bereits um. Pauls Kunde ging und gab ihm den Blick frei auf sie, in ihrem hellblauen Kleid und der weißen Handtasche sah sie auch aus wie ein Partygast. Sie hatte die Financial Times aufgeschlagen und überflog, die strengen schwarzen Augenbrauen hochgezogen, die Schlagzeilen. Paul beobachtete sie nervös von seiner ambivalenten Position aus, unsichtbar und doch wie auf dem Präsentierteller. Sie schaute jetzt über den Rand der Zeitung, ließ den Blick geistesabwesend durch den Raum schweifen, aber gab mit keinem Zeichen zu verstehen, dass sie ihn wahrnahm oder erkannte. Er ließ das Lächeln auf seinem Gesicht verschwinden, als verlangte gerade etwas anderes seine Aufmerksamkeit, und sein Herz raste, während sich Scham und Widerspruch in ihm regten. Als sich die Windfangtür öffnete, wandte sie sich um und nickte knapp. Kurz darauf trat Mrs Jacobs mit ihrem schweren Schritt und dem ironischen, fragenden Gesichtsausdruck in Pauls Blickfeld, sah angestrengt in seine Richtung, näherte sich und stellte mit
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