Fremden Kind
und spitzte freundlich bedauernd die Lippen. Morgan-Williams in der ersten Reihe trällerte krächzend. Peter ignorierte das anschließende Gelächter. »Das wird dir auch noch passieren«, sagte er. »Und dann dürfen wir alle herzlich über dich lachen.« Er ging zurück zum Klavier, doch spürte er, dass noch etwas in der Luft lag. Als er sich hingesetzt hatte, drehte er sich um: Dupont stand unentschlossen am Ende der Stuhlreihe. Peter lachte ihn an, ein Abschiedsgruß, und nun schimmerte sie doch noch durch, die Bevorzugung – eigentlich war es ein Grund, ihm zu gratulieren, als würde er konfirmiert. Bald hätte er sich wieder gefangen, kommendes Jahr in der sechsten Klasse, lange Hosen, Teenagerstimme, Peter konnte sie förmlich schon hören. Milsom 1 sah seinen Freund interessiert und neugierig an. Sloane sagte: »Du sollst gehen, Dupe.« Duponts Demütigung machte Peter verlegen. Zum ersten Mal fühlte sich dieser kluge, ungewöhnliche Junge ausgestoßen, Zielscheibe des Spotts, vielleicht auch des Aberglaubens, jemand, der auf Kosten der anderen Jungen in die Zukunft abgeschoben wurde. »Du darfst dich in die Bibliothek setzen und lesen, wenn du willst«, sagte Peter. Eigentlich war das ein Vorrecht der sechsten Klasse, trotzdem prasselte Hohn auf Dupont nieder, als er schamrot und lächelnd zur Tür ging.
3
P aul beugte sich vor, zog den Messingriegel hoch und öffnete die Türchen zu seinem Platz. In nicht mal einer Minute öffnete auch die Bank, und durch die Milchglasscheiben in den unteren Fensterhälften konnte man bereits die grauen Umrisse von einigen wartenden Kunden draußen erkennen, verschwommen und sich überlagernd. Noch war die Schalterhalle verwaist, das dunkle Linoleum noch nicht verkratzt, die Tintenfässer voll, die Times und die Financial Times lagen unberührt auf dem Tisch. Die altmodische Eintönigkeit des Ortes hatte etwas Puristisches. An der Anzeigentafel über dem Tisch hing eine Werbung für Kriegsanleihen und Premium-Sparbriefe zu fünf Prozent und unter der Überschrift banküberfälle eine Verhaltensanleitung, einziger Hinweis in der Schalterhalle auf eine mögliche Gefahr.
Den Nachttresor hatten Geoff und er bereits geleert und angenehme zehn Minuten damit verbracht, den Inhalt der verschlossenen Geldtaschen aus Leder zu überprüfen. Da die Bank bereits um drei Uhr schloss, legten die meisten Ladenbesitzer ihre Tageseinnahmen später in die Schwenkrutsche zum Tresor. Das Bargeld zu zählen und die Summen einzutragen gehörte morgens immer zu den ersten Pflichten. Geoff konnte Geld mit sagenhafter Geschwindigkeit zählen, der Gummifingerhut an seinem rechten Zeigefinger pulsierte förmlich über den Scheinen. Paul spürte die Konkurrenz, ließ sich jedoch gern ablenken durch Geoffs verschlafene, dennoch tatkräftige morgendliche Präsenz, das Haar noch feucht, das Aftershave frisch und scharf. Er seufzte und setzte erneut an, ein Bündel zu zählen. Mrs Marsh hatte seinen strammen Verband auf ein sauberes Mullpflaster am Daumenballen reduziert, aber er kam sich noch immer unbeholfen vor und blieb vorsichtig. Die Zehnshillingscheine waren die schmutzigsten und hatten die meisten Risse, weswegen sie manch mal aussortiert werden mussten. Zehnpfundscheine behandel te er andächtiger. Susie hatte gefragt, was es mit dem Ver band auf sich hatte, die Geschichte von gestern Abend war ans Licht gekommen und hatte ihm einen angenehmen Vorgeschmack darauf gegeben, was es heißt, als Person wahrgenommen zu werden, als ein Kerl, der komische Abenteuer erlebte. »Haben Sie schon gehört, was Kollege Paul passiert ist?«, hörte er sie rumerzählen.
Der Schalter hatte drei Plätze – Jack saß dem Haupteingang von der Straße aus am nächsten, in der Mitte Geoff, und Paul wartete ganz hinten, direkt neben dem Büro des Direktors, darauf, dass die Kunden ihn entdeckten. Inoffiziell sollte Geoff seinen jungen Kollegen ein bisschen im Auge behalten, und Paul, noch viel inoffizieller, eigentlich sogar ziemlich verstohlen, behielt Geoff im Auge. Es war sinnlos, sich irgendwas von Geoff zu erhoffen, aber er hatte ihn nun mal den ganzen Tag vor der Nase, wie zur Schau gestellt in seinem eng anliegenden Anzug und den Stiefeletten, deren Absätze er in die Querstrebe seines Hockers einhakte. Mr Keeping machte gerne hämische Bemerkungen über Geoffs Schuhe, ging aber nicht so weit, sie ihm zu verbieten. Auch unter den Mädchen an den Schreibtischen und Schreibmaschinen war Geoffs Aussehen
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