Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
Vom Netzwerk:
einem »Also, dann wollen wir mal …« ihre Teppichtasche auf die Schaltertheke zwischen ihnen.
    »Guten Morgen, Madam«, sagte Paul fast humorvoll, unschlüssig, ob er sie mit Namen anreden sollte.
    »Guten Morgen«, sagte Mrs Jacobs leutselig – möglicherweise war ihr entfallen, wer er war – und fing an, in ihrer Tasche zu kramen. Auf die Theke legte sie nacheinander ein Brillenetui, Kopftuch, eine Zwanzigerpackung Peter Stuyvesant, eine Papiertüte aus Hobdays Apotheke, in der er Tabletten klackern hörte, ein orangefarbenes Taschenbuch, mit dem Buchdeckel nach unten … Paul konnte nicht sehen, was es war … und schließlich ein Scheckbuch. Es folgte ein Brillenwechsel, danach tastendes Greifen nach einem Stift. Mit flotter, lässiger Hand stellte sie einen Scheck aus und machte dabei eine unverständliche Miene, als wäre Geld für sie ein großes, ergötzliches Mysterium. Paul erwiderte ergeben ihr Lächeln, überprüfte den Scheck, der sich auf fünfundzwanzig Pfund belief, stempelte ihn ab und fragte Mrs Jacobs, wie sie das Geld ausgezahlt haben wolle. Erst jetzt, mit einem knappen starren Blick, bemerkte sie, wer er war. »Ach, das sind ja Sie!«, sagte sie vergnügt, tat ihn dennoch nur als den komischen kleinen Kerl vom Vorabend ab, und seinen Namen hatte sie sehr wahrscheinlich auch vergessen. Paul lachte, beugte sich über die Kassenschublade in Höhe seines linken Knies und befreite ein Bündel sauberer, grüner Einpfundnoten aus seiner Banderole. Wie hübsch, dachte er, während er die Scheine zählte: diese feine mechanische Gleichförmigkeit des Gesichts der Queen zwischen seinen Fingern. Danach fächerte er sie für Mrs Jacobs noch mal langsamer auf dem Schalter auf – »Bitte schön, Mrs Jacobs.«
    »Ach ja, Ihre Hand«, sagte sie, als wollte sie bestätigen, dass es auch wirklich Paul war. Er hob die Hand, führte ihr den neuen Verband vor und wedelte dann mit den Fingern, um ihr zu zeigen, dass sie funktionierten.
    »Noch mal Glück gehabt«, sagte Mrs Jacobs, suchte nach ihrem Portemonnaie und stopfte die Scheine hinein – wieder so, als sei Geld für sie etwas Unbeherrschbares. »Das ist unser junger Mann«, flüsterte sie ihrer Tochter zu, als sie zu ihr zurückkehrte; sie jedoch sprach leise mit Mr Keeping, der, trotz wolkenlosen herrlichen Himmels, wie man durch die transparenten Glasscheiben in der oberen Hälfte der Fenster erkennen konnte, mit seinem Filzhut in der Hand und dem über den Arm geworfenen Regenmantel aus seinem Büro gekommen war. Vermutlich würden die beiden Frauen ihn nach Hause begleiten.
    Heute ging er später in die Mittagspause, was ihm lieber war, so hatte er den Personalraum für sich und konnte, sandwichkauend, seinen Angus Wilson lesen, ohne dass jemand Fragen stellte. Wenn die Pause um war, dauerte es nur noch eine Stunde bis zum Feierabend. Nachmittags kam er sich immer besonders eingesperrt vor hinter seinem Schalter und schwenkte auf seinem hohen Hocker hin und her zwischen der langen Kassenlade neben dem linken Knie und den Holz schalen für Nadeln, Büroklammern und Gummibänder rechts von ihm. War er morgens zupackend und zielstrebig, fühlte er sich mittags steif und zerschlagen. Die Kassenlade engte ihn ein. Die Knie waren angehoben, die Fußballen ruhten gespannt auf der metallenen Fußstütze; die Schenkel spreizten sich, wenn er sich vorbeugte; und um das taube Gefühl in den Oberschenkeln und Pobacken loszuwerden, schüttelte er die Beine ein bisschen aus. Die niedrige, geschwungene Lehne kippte nach vorn, wenn er sie nicht benutzte, schmiegte sich aber an seinen Rücken, wenn er damit dagegendrückte oder sich zurücklehnte. In der verborgenen Region zwischen seinen Beinen spürte er ein schwaches Kribbeln, ein Mixtum aus Dumpfheit und Erregung. Vor ihm bildeten sich Schlangen, drängten sich Gesichter – leer, freundlich, vorwurfsvoll, resigniert –, die nur er zu sehen bekam, und die halbe Zeit über saß er mit einer leichten Erektion da, von niemandem bemerkt, von niemandem verursacht.
    Kurz vor Schluss kehrte er vom Tisch des Hauptkassierers zurück zu seinem Hocker und stellte fest, dass er keine Kunden mehr hatte – er schaute sich um, sah Heather durch die Schalterhalle schreiten und neben dem Eingang Posten beziehen und spürte bereits den sich ankündigenden kleinen Perspektivwechsel, der sich einstellte, wenn sie die Tür abschloss und die Belegschaft wieder unter sich war. Vielleicht war es nur die Unsicherheit als neuer

Weitere Kostenlose Bücher