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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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Kollege, doch spürte er, wie sich eine Stimmung der Solidarität unter den Mitarbeitern breitmachte, sobald die Kunden weg waren. Natürlich zeigten sie es kaum, und dennoch – »Nein, Sie kommen gerade noch rechtzeitig!«, sagte Heather mit einem gequälten Grinsen. Paul sah einen großen jungen Mann dankbar lächelnd an ihr vorbei in die Halle huschen, obwohl es genau genommen erst 15 Uhr 28 war, er somit voll im Recht und sein Lächeln auch keineswegs entschuldigend, sondern eher selbstbewusst. Er betastete seine Brusttasche und lächelte jetzt eher schelmisch, während er auf Geoffs Platz zusteuerte, wo bereits ein Kunde wartete. Paul beobachtete eine kauzige Lebendigkeit und Nachlässigkeit an ihm, die man in einer Stadt wie dieser nicht häufig sah; er hatte etwas von einem Künstler an sich, wirkte leicht zerstreut, eher wie jemand aus London oder Oxford, nur wenige Kilometer entfernt. Mit seinem beigefarbenen Leinenjackett, das sich am Revers wellte, und der blauen Strickkrawatte entsprach er ganz dem Oxford-Typ. Nicht weit von seinem Herzen entfernt hatte ein Stift einen roten Klecks auf seinem Hemd hinterlassen. Das dunkle lockige Haar reichte bis über die Ohren, sein ganzer Ausdruck war geistreich und attraktiv, obwohl er genau genommen nicht hübsch war. Paul beugte sich vor und beobachtete einige gedehnte, tranceartige Sekunden lang, wie er über die Schulter des Mannes vor ihm seinen Blick auf Geoff heftete. Sein Kopf war zur Seite geneigt mit dem dumpf berechnenden Stirnrunzeln der Ungeduld, die Zungenspitze lag auf der Unterlippe; und dann, für einen winzigen Moment, erstarrte sein Gesicht, seine Augen weiteten sich, als wollten sie Geoff ganz in sich aufnehmen, und verengten sich danach zu einem Blinzeln amüsierter Nachsicht; und Paul wusste Bescheid, sein Herz klopfte, übermannt von Gefühlen, die er nicht zu entwirren vermochte, Neugier, Neid, Furcht. »Kann ich Ihnen helfen?«, sagte er, und seine Stimme hörte sich laut, beinahe spöttisch an.
    Der Mann sah ihn an, ohne den Kopf zu bewegen, dann weitete sich sein Lächeln, als fühlte er sich ertappt, und er kam herüber. »Hallo«, sagte er. »Sie sind neu hier!«
    »Ja, ich bin der Neue hier«, sagte Paul freundlich und kam sich etwas lächerlich vor.
    Der Mann musterte ihn anerkennend, während er in seine Brusttasche fasste. »Ich auch«, sagte er. Seine Stimme klang wach und tief und spielte leicht ins Ironische.
    »Ach ja?« Paul hütete sich davor, allzu vertraulich zu erscheinen, lächelte dennoch ein wenig.
    »Nur der neue Lehrer, aber das läuft ungefähr auf das Gleiche hinaus. Also – ich soll das hier für den Colonel einzahlen.« Er hatte ein Einzahlungsbuch dabei, den Beleg schon ausgefüllt, und einen Scheck über vierundneunzig Pfund: Corley Court School, Hauptkonto . In dem Moment, als er ihn abstempelte, hatte Paul ein Bild der Schule vor Augen, ein wimmelnder Kosmos, bestimmt wohlhabend und berühmt, auch wenn er den Namen noch nie gehört hatte.
    »Wo liegt sie denn?«, fragte Paul.
    »Was? Corley?« Er sprach den Namen aus wie andere London oder Dijon sagen würden, kultiviert, mit Bestimmtheit und distinguiertem Staunen. »Sie liegt an der Straße nach Oxford, ungefähr fünf Kilometer von hier. Es ist eine Privatschule für Jungen«, sagte er mit einer Noël-Coward-Stimme.
    »Verehrte Damen und Herren, die Bank schließt in wenigen Minuten!«, verkündete Heather.
    »Dann geben Sie mir lieber rasch vorher noch etwas Geld«, sagte der Mann. »Last orders wie in den Pubs gibt es bei Ihnen wohl nicht, was?«
    »Leider nicht«, sagte Paul lächelnd und achselzuckend, so wie man einem Kunden immer zugestand, dass er möglicherweise doch recht hatte, in diesem Fall aber noch mehr, nämlich Charme. Für einen Moment sah ihn der Mann intensiv an, holte dann einen Stift hervor, einen dicken Vierfarbkugelschreiber, rot, grün, schwarz und blau. Er entschied sich für grün und stellte in einer gestochenen, kunstvollen Handschrift einen Scheck über fünf Pfund aus. Sein Name lautete P. D. Rowe, und er unterschrieb mit Peter Rowe.
    »Monatsende«, sagte er. »Heute bekommen wir unser Gehalt.«
    »Wie hätten Sie es gern?«
    »Ach, Gott … Vier Pfundnoten und ein Pfund in Münzen«, sagte Peter Rowe und nickte. »Wird Zeit, mal wieder richtig einen draufzumachen, dieses Wochenende.«
    Paul gluckste in sich hinein, ohne Peter dabei anzusehen, und sagte dann: »Wo kann man hier schon einen draufmachen, frage ich mich«, sehr

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