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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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leise, weil Susie es auf keinen Fall hören sollte.
    »Tja, hm, da haben Sie natürlich recht«, sagte Peter Rowe. Paul war sich bewusst, dass dies sein erstes, persönliches Gespräch war, so wie die anderen Kassierer sich auch mit den Kunden unterhielten, die sie persönlich kannten, und obwohl er Peter Rowe überhaupt nicht kannte, war er jetzt doch gespannt auf seine Antwort. »Ich denke immer, irgendwo muss doch was los sein, oder?« Er nahm das Geld entgegen, verstaute es in seiner D-förmigen Lederbörse und sagte: »In einer Kleinstadt wie dieser muss man eben nur länger suchen.« Er lachte und zuckte mit den Augenbrauen.
    »Na dann – geben Sie mir Bescheid!«, hörte sich Paul sagen. Was immer »einen draufmachen« bedeutete – Paul hatte davon nur vage Vorstellungen, und in seine Aufregung mischte sich das Gefühl, überfordert zu sein.
    »Okay, mache ich«, sagte Peter Rowe. Beim Durchqueren der Schalterhalle schielte er noch einmal spitzbübisch zu Geoff hinüber, und in einer Schrecksekunde wurde Paul klar, dass dies auch als ein Zeichen für ihn gedacht war, und er drehte sich in der Tür mit einem aufblitzenden Grinsen zu ihm um.
    Auf dem Heimweg dachte Paul über Peter Rowe nach und überlegte, was wäre, wenn er ihm in der Stadt begegnete. Doch die meisten Geschäfte waren geschlossen, die Pubs noch nicht geöffnet, und eine Atmosphäre vorzeitiger Verlassenheit hatte sich über die sonnendurchflutete Vale Street gelegt. Er fühlte sich erschöpft, aber unruhig, ausgeschlossen von dem normalen Treiben an einem Freitagabend. Entlang der ganzen Straße wurden die Haustüren von gestreiften Markisen geschützt oder standen hinter Perlenvorhängen offen, um frische Luft hereinzulassen. Er hörte Radiogespräche, Musik, einen Mann, der die Stimme hob, als er von einem Zimmer in ein anderes wechselte. Die Textilgeschäfte und Ausstatter hatten ihre Schaufenster mit Zellophan bespannt, damit die Ware nicht von der Sonne ausgebleicht wurde: Das Zellophan leuchtete wie das Goldgelb auf einer Lucozade-Flasche und verpasste allen Kleidungsstücken im Schaufenster abstoßende Grün- und Grautöne. Auf einer winzigen Plattform im Fenster von Mews machte eine Frau in einem Baumwollkleid im bernsteinfarbenen Licht einen Ausfallschritt, das ausdruckslose Gesicht und die ausgestreckte Hand in einer affektierten Geste erhoben; neben ihr stand, verlässlich und unentwegt geduldig lächelnd, ein Mann in Flanellhose und Krawatte. Die ganze Woche hatten sie schon ausgeharrt, umschwärmt von Fliegen, die jetzt nervös zu ihren Füßen herumschwirrten und starben und garantiert dort liegen blieben, bis die Saison wechselte und sich eines Tages die gelochte Hartfaserplatte hinter ihnen bewegen und ein lebendiger Arm hervorgrapschen würde. Paul ging weiter, traurig sein ihn begleitendes Spiegelbild betrachtend. In der Auslage des Apothekers standen riesige tränenförmige Flaschen trüben Inhalts, blau, grün und gelb, die irgendeine uralte symbolische Funktion haben mussten. Dunkle Sedimente lagerten sich darin ab. Er fragte sich, was an einem Wochenende passierte, an dem man »einen draufmachte«, und vor seinem inneren Auge sah er Peter in einem Zimmer voller Freunde aus Oxford zu »Twist and Shout« tanzen. Vielleicht fuhr er für die Party auch nach Oxford, eine Privatschule war kaum ein Ort zum Abtanzen. Er schwärmte nicht für Peter, eigentlich sogar fühlte er sich durch ihn ein bisschen bedroht, ihre Freundschaft könnte in der Bank Verdacht erregen. In Gedanken schien er bereits ein, zwei Wochen weiter.
    Nach dem Abendessen ging er nach oben, um Tagebuch zu schreiben, spürte aber einen ungewöhnlichen Widerwillen, über seine eigene Verfassung zu sprechen. Er lag auf dem Bett, starrte vor sich hin. »Heute vor der Mittagspause kam Mrs Keeping in die Bank, aber sie ignorierte mich einfach, es war ziemlich peinlich«, schrieb er. »Mr K war auch recht kühl und meinte nur, meine Hand sei hoffentlich wieder verheilt. Sogar Mrs Jacobs brauchte eine Ewigkeit, bis ihr klar wurde, wer ich war, wenigstens war sie danach einigermaßen nett. Sie hob fünfundzwanzig Pfund ab. Ich glaube, an meinen Namen konnte sie sich nicht mehr erinnern, sie sprach von mir als ›unser junger Mann‹.« Irgendetwas an den sich beißenden Farben der Gardinen und des Teppichs, beide an sich ganz hübsch, riefen eine akute Einsamkeit in ihm hervor. Die drei Spiegel der Frisierkommode verdeckten die Abendsonne, die Glühlampe in der

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