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Fremden Kind

Fremden Kind

Titel: Fremden Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Hollinghurst
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seinem jetzigen Gehalt keinen leisten. Genug Platz hätte er hier auch nicht … und natürlich brauchte er noch eine Leinwand … Seit Neuestem war das sogenannte »Tapesponding« ziemlich im Trend, bei dem man anscheinend eine Nachricht auf Band sprach und dies mit der Post verschickte. Das mochte ja ganz romantisch sein, aber er besaß auch kein Tonbandgerät, und wenn, dann hätte Mrs Marsh ihn wohl für verrückt erklärt, stundenlange Selbstgespräche auf seinem Zimmer zu führen. Freies Sprechen lag ihm nicht, und er konnte sich auch nicht vorstellen, ein ganzes Band zu füllen.
    Höhepunkt seines einsamen Rituals war das Studium der Kontaktanzeigen, in denen die Worte geradezu platzten vor unerhörter Bedeutung: »Undisziplinierter Junggeselle (32) möchte willensstarke Person mit modernen Anschauungen kennenlernen«, »Motorradfahrer, Ex-Navy, sucht ebensolchen für Wochenendausritte.« Ein Wort kostete sechs Pence, trotzdem schwatzten manche drauflos wie ein Tapesponder. »Motorradfahrer, 30, aber noch Neuling, sucht Lehrmeister und möchte besonders gerne Kontakt zu Freunden von feuchten Spielen aufnehmen, Region North London / Hertfordshire bevorzugt.« Paul las alles mit klopfendem Herzen und ver barg sein fasziniertes Entsetzen hinter einem verkniffenen Lächeln. Nur einer schien diese Rubrik gründlich missverstanden zu haben, er suchte ein Mädchen, das sich für Garten arbeit interessierte. Sonst war es eine reine Männerwelt, »Junggesellen«, die meisten mit eigener »Wohnung«, und die meisten dieser Wohnungen waren in London. »Wohnung, Central London, groß und komfortabel, suche Junggesellen zur Untermiete, keine Bedingungen.« Paul sah zu den Blumengardinen und dem Abendhimmel über dem Spiegel. »Unternehmungslustiger Junggeselle (26), eigene Wohnung, sucht Gleichgesinnte mit ähnlichen Interessen« – was seine eigenen Interessen waren, hatte er nicht dazugeschrieben, die verstanden sich von selbst. Bei anderen hieß es manchmal: »Hobbys Kino, Theater etc.« oder auch einfach nur »ver schiedene Interessen«. Ein »Junggeselle, Ende vierzig« schrieb »vielseitig interessiert« und überließ damit nichts – oder alles – dem Zufall.
    Paul wurde schwermütig, schloss die Augen und träumte von Junggesellenwohnungen, und allmählich machte sein Blick im Lampenschein, zwischen den Lichtpfützen, das gemeinsame Sofa aus, die davor hingeworfenen Pantoffeln, die modernen Bilder; er öffnete die Tür zum Badezimmer, wo er sich gerade selbst rasierte, in der Gestalt von Peter Rowe, der aber seltsamerweise wie Geoff Viner aussah; er suhlte sich in der Wanne, las, rauchte, wusch sich die Haare, alles auf einmal, schlenderte weiter durch eine lila Dampfwolke, machte die Tür zum Schlafzimmer auf und stieß auf eine schattenhafte Szene, aufregender und skandalöser als alle je in Films and Filming beschriebenen – eine Szene, die seines Wissens noch nie beschrieben worden war.

4
    P eter saß im Museum und beschriftete Schilder mit seinem Vierfarbenstift. »Wem gehört noch mal der Degen?«
    »Der Degen, Sir? Der gehört Brookson, Sir.« Milsom 1 kam herüber und sah ihn sich an.
    »Er behauptet, er sei von seinem Großvater, Sir«, sagte Dupont.
    »Galadegen eines Admirals«, schrieb Peter in Schwarz und wechselte dann zu Rot: »Leihgabe von Giles Brookson, 4. Klasse.« Eigentlich hätten die Jungen die Schilder selbst beschriften müssen, aber sie waren ganz vernarrt in seine Handschrift. Er hatte bereits bemerkt, wie sein spiraliges e , sein schleifenförmiges d und sein schnörkeliges großes B die Schule eroberten und die druckbuchstabenartige Handschrift der Schüler, die sich bislang auf die des Direktors bezogen hatte, infizierten. Seltsam, schmeichelhaft und fast schon eine Tradition – zehn Jahre zuvor hatte er dieses B einem Lieblingslehrer abgeschaut. »Voilà!«
    »Merci, monsieur!«, sagte Milsom und legte das Kärtchen in die Vitrine, wo die kostbareren und gefährlicheren Ausstellungsstücke präsentiert werden sollten, unter anderem eine Gruppe hübscher indischer Tonfiguren in unterschiedlichen Trachten und Uniformen – Wasserverkäufer, Torwächter, Militärflötenspieler –, die Newmans Tante ihnen vertrauensvoll überlassen hatte. In dem Fach darüber hatte eine Handgranate Platz gefunden, angeblich entschärft, eine Steinschlosspistole, der Degen von Brooksons Großvater und ein Kukri- Messer der Gurkhas, das Dupont jetzt herausgenommen hatte und mit einem

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