Fremden Kind
Jungen seine Meinung auf, dass es eigentlich egal war. Sie machten sich wieder an die Arbeit und blickten nur gelegentlich skeptisch zu der alten Dame hinauf.
Peter öffnete eine Pappschachtel und holte eine gerahmte Fotografie von Cecil Valance heraus, hauchte sie an, spuckte diskret auf das Glas und wischte es kräftig mit seinem Taschentuch ab. Zwischen Glasscheibe und Passepartout klemmten viele winzige schwarze Krümel, Ameisen, die vielleicht schon vor Jahrzehnten hineingekrochen und verendet waren. »Und wo hängen wir unseren hübschen Dichter auf?«, fragte er. »Unseren Hausbarden …«
»Oh, Sir«, sagte Milsom; und Dupont ließ das Kukri-Messer fallen und kam herüber.
»Wie wäre es hier, Sir, direkt überm Schreibtisch?«, sagte er.
»Ja, das ginge.« Auch der Schreibtisch war ein Ausstellungsstück, aus einem Haufen aus viktorianischem Hausrat, bestehend aus Möbeln und Einrichtungsgegenständen, Wäschekörben, Wäscheständern, Kohleeimern und vielem mehr, der irgendwann einmal wahllos in den benachbarten Stall hineingestopft und weggesperrt worden war. Er war ungeheuer schwer, hatte zwei Reihen Ablagefächer im gotischen Stil, an der Oberkante eine Zierleiste aus Eichenzinnen, in der etliche Lücken klafften.
»Glauben Sie, dass Cecil Valance seine Gedichte wirklich an diesem Schreibtisch geschrieben hat, Sir?«, fragte Milsom.
»Ganz bestimmt, Sir«, sagte Dupont.
»Das halte ich für durchaus möglich«, sagte Peter. »Auf jeden Fall die frühen Gedichte. Wie ihr wisst, hat er die späteren in Frankreich verfasst.«
»In den Schützengräben, Sir.«
»Ja, richtig. Das ist ja das Praktische an Gedichten, man kann sie überall schreiben, egal, wo man sich gerade befindet.« Er hatte mit der fünften Klasse ein paar von Cecils Werken durchgenommen, nicht nur die berühmteren Stücke aus den Anthologien, sondern auch Sachen aus den Gesammelten Gedichten, die er in der Bibliothek entdeckt hatte, zusammen mit den Erinnerungen von Stokes. Die Jungen hatten sich geschmeichelt gefühlt, Gedichte über ihre eigene Schule zu lesen, und sie waren literarisch noch nicht gebildet genug, von sich aus die schlechte Qualität der meisten Verse zu erkennen.
Dupont sah sich das Foto genauer an. »Lässt sich sagen, wann es aufgenommen wurde, Sir?«
»Tja, das ist schwierig, nicht?« Zu erkennen war lediglich der auf dem blaugrauen Passepartoutkarton in Gold geprägte Name Elliot and Fry, Baker Street . Die Kleidung war auch nicht gerade aufschlussreich, dunkler gestreifter Anzug, Vatermörder, Seidenfliege mit gemmenbesetzter Krawattennadel. Cecil war im Halbprofil abgebildet, mit Blick nach links unten. Dunkles, gewelltes Haar, nach hinten gegelt, nur eine widerspenstige Tolle stand über der Stirn ab. Die Augen von unbestimmter Farbe, groß und leicht hervortretend. Peter hatte ihn hübsch genannt, wusste aber selbst nicht recht, was er damit gemeint hatte. Wenn man Rupert Brooke dagegenhielt, dann sah Valance glänzend und schneidig aus, gegen Sean Connery oder Elvis eher debil, altmodisch, Vertreter einer Spezies, der man heute kaum noch begegnete. »Er starb sehr jung, das heißt, er war damals etwa« – Peter wollte nicht sagen »in meinem Alter« – »Anfang zwanzig.« Merkwürdig, aber wäre er heute noch am Leben, wäre er so alt wie Peters Großvater, der noch jede Woche eine Runde Golf spielte und gerne Jazz hörte, wenn auch nicht gerade »Jailhouse Rock«.
»War er jemals verheiratet, Sir?«, fragte Milsom interessiert.
»Nicht dass ich wüsste«, sagte Peter. »Nein, wohl nicht …« Er stieg auf den Schreibtisch, bat die Jungen um einen Hammer und schlug einen Nagel in die weiß verputzte Wand.
Hauptthema auf der Lehrerkonferenz in dieser Woche im Wohnzimmer des Schuldirektors war der Tag der offenen Tür. »Um halb zwei tritt die Startelf gegen die Templers an. Wie sind die Aussichten?«
»Ein Kinderspiel für uns, Herr Direktor«, sagte Neil McAll.
Der Direktor lächelte ihn glücklich, beinahe neidisch an. »Gut gemacht.«
»Die Templers sind eine ziemlich schwache Mannschaft«, sagte McAll trocken, wollte aber das Lob auch nicht ungenutzt lassen. »Trotzdem würde ich diese Woche mit unseren Jungs gerne noch etwas mehr trainieren, natürlich nach dem Silentium … wenn das geht? Nur um sie richtig in Form zu bringen.« Der Schuldirektor schien bereit, ihm alle Wünsche zu erfüllen. Peter musterte McAll, der ihm am Tisch gegenübersaß, mit gemischten Gefühlen. Schwarze Haare,
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